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Vivekananda

Die Veden+Shankaras Advaita

Vivekananda

westliche Forscher über Advaita

Advaita Lehrer

Shankaras Advaita 1:

Doktrin des Nichtwissens

Shankaras Advaita 2:

Wissen des Absoluten

Shankaras Advaita 3:

Sat-Chit-Ananda

Shankaras Advaita 4:

Atman=Brahman

Transzendentale Meditation - Die Philosophie des Advaita Vedanta nach Vivekananda

Swami Vivekananda

Über Atman

Über das Absolute

Advaita

Über Atman

Wir können also die alten Schriften mit der modernen Wissenschaft in Übereinstimmung bringen. Jene  Kraft, die sich, allmählich aber verschiedene Stufen ansteigend, offenbart, bis sie zum vollkommenen Menschen wird, kann nicht aus dem Nichts kommen.  Irgendwo muß sie existiert haben, und wenn das  Weichtier oder die Keimzelle der erste Punkt ist, zu dem man sie zurückverfolgen kann, dann muß die Keimzelle diese Kraft irgendwie enthalten haben.  Es ist ein Streitpunkt, ob die stoffliche  Zusammenballung, Körper genannt, die Ursache ist für die Offenbarung der Kräfte, die wir Seele oder Gedanke nennen, oder ob es der Gedanke ist, der sich als Körper kundgibt.  Die Religionen behaupten  natürlich, der Körper sei eine Manifestation der Kraft, die wir Gedanken nennen und nicht umgekehrt. Moderne Lehren sagen, was wir mit Gedanken bezeichnen, entstehe einfach, wenn sich die Teile der  Maschine, Körper genannt, einordnen.

Wenn wir den Standpunkt einnehmen, die Seele oder die Gedankenmasse oder wie immer wir es nennen  mögen, sei nichts anderes als das Erzeugnis einer Maschine, das Erzeugnis von chemischen und physischen Kombinationen von Materie, die Körper und Hirn bilden, dann bleibt noch immer die Frage offen: Was  erschafft den Körper? Welche Kraft bindet die Moleküle zur Körperform? Welche Kraft ist es, die der Stoffmasse rings um uns Material entnimmt und daraus den einen Körper so und einen anderen Körper  anders gestaltet? Woher kommen alle diese Unterschiede? Zu behaupten, die Kraft, Seele genannt, sei das Ergebnis von Molekülkombinationen des Körpers, heißt den Wagen vor das Pferd spannen.  Auf  welche Art und durch welche Kraft kamen diese Kombinationen zustande? Wenn wir sagen, sie seien von  irgend einer anderen Kraft verursacht worden und die Seele war ihr Ergebnis, so ist das keine Antwort.   Jene Theorie muß angewandt werden, die den größten Teil der Tatsachen, wenn nicht alle, erklärt, ohne  anderen bestehenden Theorien züi widersprechen.  Es ist logischer, zu behanpten, die Kraft, die Material  aufnimmt und daraus den Körper formt, sei dieselbe, die sich durch den Körper kundgibt.  Es ist deshalb sinnlos zu sagen, die durch den Körper zum Ausdruck kommenden Gedankenkräfte seien das Ergebnis  einer Anordnung von Molekülen und hätten keine selbständige Existenz.  Ebensowenig kann sich Kraft aus  Materie entwickeln.  Eher könnte man anschaulich machen, wie das, was wir Materie nennen, überhaupt  nicht existiert, sondern nur in einem bestimmten Zustande befindliche Kraft ist.  Nachweislich ist Festigkeit,  Härte oder irgend ein anderer Zustand der Materie nur das Ergebnis von Bewe-gung.  In starke Wirbelbewegung versetzte Flüssigkeiten erhalten die Wucht von Festkörpern.  Eine Luftmasse in  Wirbelbewegung, zum Beispiel ein Tornado, gewinnt eine Festigkeit, die solide Körper durchbricht oder durchschneidet.  Könnte der Faden eines Spinngewebes mit beinahe unbegrenzter Geschwindigkeit  bewegt werden, so besäße er die Kraft einer Eisenkette und könnte einen Baum durchschneiden.  Von dieser Seite betrachtet, wäre es leichter zu beweisen, dass sogenannte Materie überhaupt nicht existiert,  während die Annahme, die Seelen- oder Gedankenkraft sei das Ergebnis von Materie, unbeweisbar ist.

Welche Kraft ist es, die durch den Körper in Erscheinung tritt? Welcher Art diese Kraft auch immer sein mag, offensichtlich sammelt sie gleichsam Teilchen und bildet Formen daraus, zum Beispiel den  menschlichen Körper.  Keine von außen kommende Macht baut Körper für uns; keiner kann Nahrung für  den anderen zu sich nehmen, jeder muß sie sich selbst einverleiben, urn Blut und Knochen und alles andere  aus dieser Nahrung zu bilden.  Welche geheimnisvolle Kraft ist es, die in diesem Augenblick in uns arbeitet?

Wie die alten Schriften uns beweisen, glaubte man in früheren Zeiten, diese Kraft werde durch eine feine  Substanz offenbart, welche die gleiche Form besitzt wie unser Körper, jedoch dessen Zerfall überdauert.   Später aber taucht die höhere Idee auf, dieser feine Körper könne nicht jene Kraftquelle sein, da alles, was Form besitzt, das Ergebnis einer Zusammensetzung aus Teilen sein müsse, und als solche von etwas  abhänge, was nicht zusaramengesetzt ist.  Wenn ein feiner Leib notwendig ist, um den physischen Leib zu  beeinflussen, so muß notwendigerweise auch der feine Leib von etwas beinflußt werden.  Und dieses  Etwas nannte man die Seele, Atman in Sanskrit.  Es ist also Atman, der mittels des feinen Leibes auf den  groben, äußeren Leib einwirkt.  Der feine Körper ist gleichsam der Träger des geistigen Organismus, dem  Gemüt, Verstand, Sinne, Wille und anderes mehr angehören, doch Atman ist jenseits davon.  Atman ist nicht identisch mit Sinnen, Gemüt oder Verstand, sondern er wirkt auf diese ein und durch sie auf den  Körper.  Jeder von uns hat einen besonderen Atman und einen besonderen feinen Leib, und von diesen beiden wird der physische Körper beeinflußt.

Verschiedene Fragen erheben sich über das Wesen dieses Atman: Was ist dieser Atman, der weder mit dem Körper, noch mit dem Gemüt, den Sinnen, dem Intellekt, den Gefühlen oder Gedanken identisch ist?  Philosophische Spekulationen mannigfaltiger Art und zahllose Diskussionen über dieses Thema sind entstanden.  Wir wollen hier den Versuch machen, einige der Schlußfolgerungen, bei denen man anlangte,  aufzuzeigen.  Die verschiedenen Philosophien scheinen darin übereinzustimmen: dieser Atman hat, was immer er auch sein mag, weder Gestalt noch Form; etwas Gestaltloses und Formloses aber muß  allgegenwärtig sein.  Zeit und Raum sind nur Formen der dem Menschen angeborenen Anschauungsweise.   Ohne Zeit kann es keine Kausalität geben, denn ohne die Vorstellung zeitlicher Aufeinanderfolge kann es keine Vorstellung einer Ursache geben. Zeit, Raum und Kausalität entstehen erst durch die dem Menschen  angeborene Art der Anschauung; der Atman jedoch ist jenseits des menschlichen Sinnes und formlos, und muß daher jenseits von Zeit, Raum und Kausalität sein.  Wenn er aber jenseits von Zeit, Raum und  Kausalität ist, muß er unendlich sein.

Nun kommt die höchste Spekulation unserer Philosophie.  Das Unendliche kann nicht in zwei Teile geteilt  werden.  Wenn die Seele unendlich ist, kann es nur eine Seele geben, und alle Vorstellungen von verschiedenen Seelen - er hat eine Seele, ich habe eine Seele und so fort - sind unhaltbar. Der wahre  Mensch ist deshalb einzig und  unendlich,  der  allgegenwärtige Geist, und der sichtbare Mensch ist nur  eine Begrenzung jenes wahren Menschen.  In diesem Sinne sind die Mythologien wahr, wenn sie sagen, dass der sichtbare Mensch, wie überragend er auch immer sein mag, nur ein schwacher Widerschein des  wahren Menschen ist.  Der wahre Mensch, der Geist, der jenseits von Ursache und Wirkung, ungebunden  von Zeit und Raum ist, muß daher frei sein.  Er war niemals gebunden und konnte niemals gebunden sein.   Der sichtbare Mensch, sein Spiegelbild, ist beschränkt von Zeit, Raum und Kausalität und deshalb gebunden.  Oder, wie es einige unserer Philosophen ausdrücken, er scheint gebunden, ist es aber in  Wirklichkeit nicht. Jene Allgegenwart, jener geistige Wesenskern, jene Unendlichkeit, das ist die Wirklichkeit in unseren Seelen.  Jede Seele ist unendlich, geburtlos und todlos.

Bei einer Prüfung wurden einigen Kindern schwierige Fragen vorgelegt, unter anderem die, warum die  Erde nicht fällt.  Der Lehrer wollte Antworten über die Schwerkraft hören.  Ein kleines aufgewecktes  Mädchen antwortete mit der Gegenfrage: „Wohin sollte sie fallen?“ Die Frage des Lehrers ist unsinnig.   Wohin sollte die Erde fallen? Für sie gibt es weder Fallen noch Steigen; im unendlichen Raume gibt es  weder unten noch oben; dieser Begriff ist relativ.  Woher sollte das Unendliche kommen, wohin sollte es gehen?

Erst wenn wir aufhören, an die Vergangenheit oder an die Zukunft zu denken, wenn wir die Körperidee aufgeben - denn der Körper kommt und geht und ist begrenzt -, erst dann können wir uns zu einem  höheren Ideal erheben.  Der Körper ist nicht der wirkliche Mensch, auch nicht Verstand, Gemüt oder  Sinne, sie alle wachsen und verfallen.  Der Geist allein lebt ewig.  Körper und Sinne, Verstand und Gemüt  verändern sich fortwährend und sind tatsächlich nur Namen für Reihen von wechselnden Erscheinungen, Flüssen zu vergleichen, deren Wasser beständig wechselt und die trotzdem eine einheitliche Wassermasse  zu sein scheinen. Jedes Teilchen unseres Körpers ist in ständiger Veränderung begriffen; niemand hat den  gleichen Körper auch nur für wenige Minuten, und trotzdem betrachten wir ihn als denselben Körper. 

Das gleiche gilt für den Sinn, der in einem Augenblick froh, im anderen betrübt, manchmal stark und  manchmal schwach ist, ein immer wechselnder Wirbel.  Das alles kann nicht der Geist sein, der unendlich  ist.  Nur das Begrenzte kann sich verändern: es ist Unsinn zu meinen, das Unendliche könne sich auch nur  im geringsten verändern. Wir, als begrenzte Körper, können uns bewegen, jeder Teil im Weltall ist in  ständigem Wechsel begriffen, aber das Universum als eine Einheit, als ein Ganzes betrachtet, kann sich  weder bewegen noch verändern.  Bewegung ist immer relativ.  Etwas bewegt sich im Verhältnis zu etwas  anderem, ein Teil im Universum kann sich verändern in Beziehung zu einem anderen Teil, aber mit Bezug  worauf sollte sich das Universum, als Ganzes betrachtet, bewegen? Außer ihm ist ja nichts, und deshalb ist diese unendliche Einheit unveränderlich, unbeweglich, unbedingt und dies ist der wirkliche  Mensch.  Unsere Wirklichkeit besteht deshalb im Allumfassenden und nicht im Begrenzten. 

Es ist ein alter, wenn auch bequemer Aberglaube, zu denken, wir seien kleine, beschränkte Wesen, die sich ständig verändern, und die Menschen bekommen Angst, wenn man ihnen sagt, sie seien ein  allumfassendes, allgegenwärtiges Wesen.  Durch alles wirken wir, durch jeden Fuß, der schreitet, durch jeden Mund, der spricht, durch jedes Herz, das fühlt.

Über das Absolute

...Lassen wir die Feinheiten beiseite und versuchen wir, logisch und mit gesundem Menschenverstand das  Problem zu betrachten, wie das Absolute zum Relativen geworden ist, dann werden wir die Sache von einer anderen Seite sehen.  Nehmen wir an, wir wüßten die Antwort, würde dann das Absolute das  Absolute bleiben? Es wäre zum Relativen geworden. Was verstehen wir denn unter Wissen in unserer gewöhnlichen Vorstellung? Was innerhalb des Bereiches unseres Verstandes liegt, wissen wir; und was  jenseits dieses Bereiches liegt, nennen wir nicht Wissen.  Wenn das Absolute von unserem Verstande begriffen werden kann, dann ist es von ihm begrenzt und nicht mehr das Absolute; es wäre endlich  geworden.  Alles was innerhalb der Grenzen unseres Verstandes liegt, wird endlich („definiert“ - lateinisch  „finis“ = „die Grenze“, „die Begrenzung“).  Deshalb, „das Absolute zu kennen“, wäre wiederum ein Widerspruch in sich.  Darum konnte diese Frage niemals beantwortet werden; denn würde sie  beantwortet, dann gäbe es kein Absolutes mehr.  Ein Gott, den man kennt, ist nicht mehr Gott.  Er ist  endlich geworden wie einer von uns.  Man kann Ihn nicht kennen.  Er ist stets der Eine, Ewig-Unbekannte.

Advaita sagt, dass Gott mehr sei als erkennbar.  Dies ist eine grandiose Tatsache.  Man muß sich nicht mit  dem Gedanken abfinden, man könne Gott nicht kennen im Sinne der Agnostiker.  Zum Beispiel, hier ist ein  Gegenstand; er ist uns als Stuhl bekannt.  Was jedoch jenseits des Äthers ist und ob dort Leute wohnen,  ist uns unbekannt.  In diesem Sinne kann Gott weder bekannt noch unbekannt sein.  Er ist etwas viel  Höheres als bekannt; das ist gemeint, wenn man sagt, Gott sei unbekannt und unerkennbar- Der Ausdruck ist nicht in dem Sinne gebraucht, in dem man etwa von einer Sache sagen mag, man kenne sie nicht und  könne sie nicht kennen.  Man kann Gott viel mehr als nur kennen.  Diesen Stuhl kennen wir als solchen;  aber mit Gott ist es etwas, das viel intensiver ist als kennen, denn nur in Ihm und durch Ihn erkennen wir  den Stuhl als Stuhl.  Er ist der Zeuge, der Ewige Zeuge aller Kenntnis.  Was immer wir kennen, müssen  wir in Ihm und durch Ihn kennen.  Er ist der Wesenskern unseres eigenen Selbst; Er ist das Wesen unseres  Ich, das wahre Ich, und wir können nichts kennen und wissen als durch dieses Ich und in diesem Ich.

Deshalb kennen wir alles in und durch Brahman.  Um einen Stuhl zu erkennen, hat man ihn in und durch  Gott zu erkennen.  So ist uns Gott unendlich viel näher als der Stuhl, aber Er ist unendlich viel erhabener.   Weder bekannt noch unbekannt, sondern etwas, das unendlich viel höher ist als beides.  Er ist unser Selbst. „Wer würde eine Sekunde leben, wer eine Sekunde atmen in diesem Weltal, wenn es nicht das  gesegnete Eine erfüllte?“ Weil wir in Ihm und durch Ihn atmen, sind wir in Ihm und durch Ihn.  Nicht, dass  Er irgendwo stünde und unser Blut kreisen ließe.  Nein, Er ist das Wesen von allem diesen, Er ist die Seele  unserer Seele.  Man kann unmöglich sagen, man kenne Ihn, das hieße Ihn erniedrigen.  Man kann nicht  aus sich selbst heraus, deshalb kann man Ihn nicht kennen.  Kenntnis ist vergegenständlichen - man  vergegenständlicht zum Beispiel viele Dinge im Gedächtnis und verlegt sie von sich nach außen.  Alle  Erinnerung, alles was der Mensch gesehen hat und was er weiß, bleibt ihm erhalten.  Die Bilder, die Eindrücke all dieser Dinge haben sich ihm eingeprägt, und wenn er den Versuch macht, an sie zu denken,  sie zu wissen, so würde der erste Akt des Wissens der sein, sie nach außen zu verlegen.  Mit Gott kann  man das nicht tun, denn Er ist der Wesenskern unserer Seele; man kann Ihn nicht nach außen verlegen.   Hier ist eine der tiefsten Stellen des Vedanta: „Er, der das Wesen deiner Seele ist; Er ist die Wahrheit; Er  ist das Selbst; und Das, o Shvetaketu, DAS bist du!“ („TAT Twam asi“) Das ist gemeint mit: „Du bist  Gott“.  Man kann Ihn nicht anders beschreiben.  Alle Versuche der Sprache, Ihn zu benennen,Vater, oder  Bruder, oder unser lieber Freund, sind Versuche, Gott zum Objekt zu machen; man kann Ihn nicht zum  Objekt machen.  Er ist das Ewige Subjekt aller Dinge.  Wie wir das Subjekt eines Stuhles sind, den wir  sehen, so ist Gott das Ewige Subjekt unserer Seele.  Wie kann man Ihn zum Objekt machen, Ihn, das Wesen unserer Seele, die Wirklichkeit in allen Dingen?

Wir wiederholen es noch einmal.- Gott ist weder bekannt, noch unbekannt, sondern etwas viel Höheres.   Er ist eins mit uns, und das, was eins mit uns ist, kann weder bekannt, noch unbekannt sein, weil es unser  eigenes Selbst ist.  Man kann sein eigenes Selbst nicht kennen, man kann es nicht aus sich herausstellen  und zu einem Objekt der Anschauung machen, weil wir es sind und uns nicht davon absondern, trennen können.  Aber man kann auch nicht sagen, dass wir es nicht kennen, denn was kennen wir besser als unser  eigenes Selbst, das Zentrum all unserer Kenntnis? In genau dem gleichen Sinne ist Gott weder bekannt, noch unbekannt, sondern unendlich viel mehr als beides: Er ist unser wahres Selbst.

Advaita

Die einzige Religion, die sowohl auf dem Gebiete der Physik, als auch auf dem der Moral mit der  modernen Forschung übereinstimmt und bisweilen sogar noch über sie hinausgeht, ist Advaita.  Deshalb übt sie so viel Anziehungskraft auf die modernen Wissenschafter aus, welche die alten dualistischen  Theorien ungenügend und nicht den modernen Notwendigkeiten entsprechend finden.  Glaube allein genügt nicht, auch intellektueller Glaube muß vorhanden sein. Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn am  Ende des neunzehnten Jahrhunderts noch die Vorstellung besteht, eine Religion müsse falsch sein, weil sie  aus einer anderen Quelle fließt als der eigenen, ererbten Religion.  Solche Vorstellungen sollten verschwinden, und zwar nicht nur in diesem Lande, sondern in allen Ländern, und nirgendwo mehr als in  Indien.  Man hat Advaita niemals gestattet, populär zu werden.  Erst legten einige Mönche Beschlag  darauf und schleppten es in die Wälder und daher stammt der Name „Wald-Philosophie“.  Durch des Herrn Gnade erschien Buddha, predigte es den Massen, und das ganze Volk wurde buddhistisch.  Lange  nachher, als Agnostiker und Atheisten die Nation neuerdings zu unterhöhlen begannen, wurde Indien wiederum.durch Advaita vom Materialismus gerettet.

Advaita hat also Indien zweimal vor dem Materialismus bewahrt.  Vor dem Erscheinen Buddhas hatte sich  ein Materialismus ausgebreitet, viel schlimmerer Art als er heute herrscht.  Der Materialist möchte uns glauben machen, es gebe nur eine Substanz, die er Materie nennt; in diesem Sinne sind auch wir  Materialisten, weil wir auch an das Eine glauben, nur nennen wir es Gott.  Der Materialist glaubt, aus  dieser Materie gehe alle Hoffnung, alle Religion und alles übrige hervor, und wir sagen, es geht aus Brahman hervor.  Der Materialismus aber, der vor Buddhas Erscheinen vorherrschte, war eine ganz rohe  Art von Materialismus, der lehrte. „Iß, trink und sei fröhlich; es gibt weder Gott, noch Seele, noch  Himmel, und Religion ist eine Erfindung verruchter Priester.  Versuche glücklich zu leben, so lange du lebst; iß, auch wenn du das Geld dafür borgen mußt und mach' dir keine Sorgen wegen des  Zurückzahlens.“ Das war die Moral jenes alten Materialismus, und diese Art der Philosophie fand eine solche Verbreitung, dass man sie auch heute noch die „populäre Philosophie“ nennt.

Buddha brachte Vedanta ans Licht, gab es dem Volke und rettete Indien.  Tausend Jahre nach seinem Tode herrschte ein ähnlicher Zustand.  Die Massen und verschiedene Völker waren zum Buddhismus  bekehrt worden, aber Buddhas Lehren gerieten infolge der Unwissenheit der Massen in Verfall.  Buddha  lehrte keinen Gott, keinen Beherrscher des Weltalls, und so holten die Massen ihre Götter und Teufel und  Kobolde hervor und machten aus dem Buddhismus in Indien einen unbeschreiblichen Wirrwarr.  In Form von Zügellosigkeit bei den höheren und von Aberglauben bei den niederen Klassen gewann der  Materialismus wiederum die Oberhand.  Dann kam Shankaracharya und brachte Vedanta zu neuem Leben, indem er es zu einer rationalistischen Philosophie gestaltete.  Während die Beweisführungen in den  Upanischaden häufig sehr undurchsichtig sind, betonte Buddha vor allem die moralische Seite der  Philosophie.  Shankara aber brachte deren intellektuelle Seite in den Vordergrund, arbeitete sie aus, stellte  sie auf eine rationale Basis und beschenkte die Menschheit mit dem hervorragenden, zusammenhängenden System des Advaita.
 Materialismus ist auch heute wieder in Europa vorherrschend.  Wir mögen für das Heil der modernen  Skeptiker beten, aber sie geben nicht nach in ihrem Verlangen nach Vernunft.  Die Rettung Europas hängt  von einer rationalistischen Religion ab, und Advaita - die Lehre der Nicht-Zweiheit, der Einheit, der Idee  des unpersönlichen Gottes - ist die einzige Religion, die bei intellektuellen Menschen Fuß fassen kann.   Advaita erscheint immer dann, wenn Religion im Absterben und Irreligiosität vorzuherrschen scheint und deshalb hat sie in Europa und Amerika Wurzeln geschlagen.

Noch etwas ist im Zusammenhang mit dieser Philosophie zu erwähnen.  Die alten Upanischaden enthalten  erhabene Dichtungen, ihre Verfasser waren Dichter.  Plato sagt, die Eingebung komme zu den Menschen  durch Dichtung.  Es hat den Anschein, als ob diese ehrwürdigen Rishis, jene Seher der Wahrheit über die  Menschheit emporgehoben wurden, um jene Wahrheiten in poetischer Form zu verkünden.  Sie predigten  nicht, sie philosophierten nicht, sie schrieben nicht.  Aus ihrem Herzen kam Musik.  Buddha verkörperte  das grelle, allumf-assende Herz und die grenzenlose Geduld, die Religion im täglichen Leben anwendbar  machte und sie zu jedermanns Tür brachte.  Shankara stellte jene gewaltige intellektuelle Macht dar, die  alles mit dem sengenden Lichte der Vernunft beschien.  Was wir heute brauchen, ist die helle Sonne dieser  Intelligenz, verbunden mit dem Herzen Buddhas, dem wundervollen Herzen, erfüllt von unendlicher Liebe  und Barmherzigkeit.  Eine solche Verbindung würde die erhabenste Philosophie hervorbringen, in der sich Wissenschaft und Religion begegnen und die Hände reichen, und Dichtung und Philosophie zu Freunden  werden.  Dies wird die Religion der Zukunft sein, und wenn wir sie errichten können, wird sie dauern für  alle Zeiten und für alle Völker.  Kein anderer Weg ist für die moderne Wissenschaft gangbar, und sie hat ihn schon beinahe betreten.

Wenn der Wissenschafter behauptet, alles sei die Kundgebung einer einzigen Kraft, erinnert uns das nicht an den Gott, den uns die Upanischaden beschreiben?:

„So wie das Feuer, obgleich eines, Gestalt von allem annimmt, das es aufzehrt, so nimmt das Selbst, ein Einziges, die Form von jedem Ding an, dem es innewohnt.“ Ist es nicht offensichtlich, welchem Ziele die  Wissenschaft zustrebt? Das Volk der Hindus ging vom Studium des Geistes aus, mittels Metaphysik und Logik.  Die europäischen Völker gehen von der äußeren Natur aus, und sie kommen zu den gleichen  Ergebnissen.  Durch den Geist forschend, erreichen wir schließlich jene Einheit, jenes allumfassende Eine,  die innere Seele, das Wesen und die Wirklichkeit aller Dinge, das Ewig-Freie, das Ewig-Glückselige, das Ewig-Seiende („SAT, CHIT, ANANDA“).  Durch das Studium der materiel1en Wissenschaften gelangen  wir zu der gleichen Einheit.  Die Wissenschafter erklären heute, alles sei die Kundgebung einer einzigen  Kraft, welche die Gesamtsumme alles Bestehenden ist; die Menschheit gehe der Freiheit entgegen, und  nicht der Knechtschaft. Über Sittlichkeit führt der Weg zur Freiheit, Sittenlosigkeit führt zur Knechtschaft.  Warum sonst sollte die Menschheit moralisch sein?

Weiterhin zeichnet sich das Advaita System durch den Mut aus, zu verkünden: „Störe niemand in seinem Glauben, auch nicht jene, die aus Unwissenheit primitiven Anbetungsformen huldigen.“ Störe niemand,  sondern hilf jedem höher und höher zu klimmen.  Diese Philosophie predigt einen Gott, der alles in sich  schließt.  Wenn wir nach einer allumfassenden Religion Ausschau halten, die von jedermann ausgeübt werden kann, dann darf eine solche Religion nicht nur Teile enthalten, sondern sie muß die Gesamtsumme  aller Teile und alle Abstufungen religiöser Entwicklung in sich vereinen.

Kein anderes Religionssystem kann dies von sich sagen.  Sie alle bestehen aus Teilen und sind gleichzeitig  bestrebt, das Ganze zu erreichen. Advaita befand sich niemals im Gegensatz zu den verschiedenen in  Indien bestehenden Sekten.  Die Dualisten sind auch heute noch am zahlreichsten in Indien vertreten, weil  Dualismus den weniger Gebildeten am meisten zusagt.  Er erklärt das Universum auf eine sehr bequeme,  natürliche und gemeinverständliche Weise.  Aber Advaita hat keinen Streit mit diesen Dualisten. Der eine  glaubt an Gott jenseits des Weltalls, irgendwo im Himmel, und der andere glaubt an Ihn als seine eigene Seele.  Er würde es für eine Blasphemie halten, an Ihn als weit weg zu denken; jeder Gedanke von  Trennung wäre ihm unerträglich.  Er ist der Allernächste, und in der Sprache läfit sich diese Nähe durch  kein anderes Wort ausdrücken als durch das Wort Einheit.  Für den Advaitisten ist jede andere Vorstellung verfehlt, genau wie der Dualist über die Auffassung des Advaitisten empört ist und sie für  Gotteslästerung ansieht.  Aber der Advaitist erkennt an: auch jene anderen Vorstellungen haben ihre  Daseinsberechtigung, und der Dualist ist auf dem richtigen Wege.  Er streitet nicht mit ihm, weil er weiß,  der Dualist muß von seinem Standpunkte aus notwendigerweise die Vielheit wahrnehmen.  Der Advaitist läßt ihn auf diesem Standpunkte, weil der Dualist, wie immer auch dessen Theorien lauten mögen, dem  gleichen Ziele entgegen geht.  Hierin freilich unterscheidet er sich völlig vom Dualisten, den seine Auffassung dazu zwingt, alle abweichenden Ansichten für falsch zu erklären.

 Die Dualisten der ganzen Welt glauben natürlich an einen persönlichen Gott, den sie sich als ein dem Menschen ähnliches Wesen vorstellen, der - gleich einem gewaltigen Machthaber in dieser Welt - dem  einen gewogen ist und einem anderen nicht.  Willkürlich ist er einem Volke zugeneigt und überhäuft es mit  Segnungen.  Natürlicherweise muß der Dualist zu der Überzeugung kommen, Gott habe Günstlinge, und er  hofft, einer von ihnen zu sein.  Fast jede Religion hegt diese Vorstellung: „Wir sind die Lieblinge unseres Gottes, und nur wer unseren Glauben annimmt, kann Seine Gunst erlangen.“

Manche Dualisten meinen in ihrer Engherzigkeit, nur die wenigen von Gott Auserwählten könnten erlöst  werden, während die übrigen trotz aller Versuche verworfen seien.  Jede dualistische Religion ist auf diese  Art mehr oder weniger engherzig, und es liegt daher in der Natur der Sache, dass sie sich gegenseitig  bekämpfen müssen, was sie auch stets getan haben.  Außerdem sind die Dualisten populär, weil sie sich an  die Eitelkeit der ungebildeten Massen wenden, die sich darin gefallen, auf ihre ausschließlichen Vorrechte zu pochen. Der Dualist glaubt nicht an die Möglichkeit von Moral ohne einen Gott mit der Rute in der  Hand, der stets bereit ist, zu strafen.  Die gedankenlosen Massen sind gewöhnlich Dualisten, und da diese  armen Menschen seit Jahrtausenden in allen Ländern verfolgt worden sind, ist ihre Erlösungsidee die Freiheit von der Furcht vor Strafe.  Zum Erstaunen mancher Geistlicher im Westen haben wir keinen  Teufel in unserer Religion.  Aber wir halten das für das Beste, denn die größten Männer, die diese Welt gesehen hat, sind für jene erhabene, überpersönliche Idee eingetreten.

Die Macht desjenigen, der den Ausspruch tat. „Ich und der Vater sind eins“ hat Millionen von Menschen  beeinflußt und hat für Jahrtausende Gutes geschaffen.  Er war ein Nicht-Dualist und war barmherzig zu  seinen Mitmenschen.  Den Massen, die nichts Höheres als einen persönlichen Gott begreifen konnten, predigte er: „Ihr sollt euren Vater im Himmel preisen“, während er anderen, die für höhere Ideen  empfänglich waren, sagte: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“.  Aber seinen Schülern, denen er  sich ganz offenbarte, verkündete er die höchste Wahrheit: „Ich und der Vater sind eins“. Es war der große  Buddha, der die dualistischen Götter verwarf, und den man einen Atheisten und Materialisten genannt hat,  der bereit war, seinen Leib für eine arme Ziege hinzugeben. Dieser Mann brachte die höchsten sittlichen Ideen, die je ein Volk gekannt hat, ins Leben zurück, und wo immer es ein Sittengesetz gibt, ist es von  seinem Lichte bestrahlt.

In einer Epoche der Menschheitsgeschichte, die eine Höhe intellektueller Entwicklung erklommen hat, wie  man sie vor hundert Jahren nicht erträumen konnte, und die einen wissenschaftlichen Fortschritt gebracht hat, der vor fünfzig Jahren für unmöglich gehalten wurde, kann man die Herzen der Welt nicht in enge  Schranken bannen.  Wenn man versucht, die Menschen in enge Grenzen zu verweisen, erniedrigt man sie  zu Tieren und gedankenlosen Massen und tötet ihr sittliches Leben.  Was wir heute brauchen, ist das edelste Herz in Verbindung mit dem höchsten Verstand, die grenzenlose Liebe in Verbindung mit  unendlicher Weisheit.  Der Vedantist sagt, Gott ist unendliches Sein, unendliches Wissen und unendliche  Glückseligkeit („SAT, CHIT, ANANDA“), und betrachtet diese drei als Eines.  Sein ohne Wissen und  Liebe gibt es nicht; Wissen ohne Liebe, und Liebe ohne Wissen gibt es nicht.  Unser Ziel ist die Harmonie  von ewigem Sein, unendlichem Wissen und ewiger Glückseligkeit.  Wir wollen Harmonie und nicht einseitige Entwicklung, den Verstand eines Shankara mit dem Herzen eines Buddha.  Wollen wir uns alle  bestreben, diese begnadete Verbindung zu verwirklichen. 

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