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Westliche Forscher über Advaita
1 VEDANTA (SANSKRIT) (PROF. G. VON PURUCKER)
2 RELIGION UND WISSENSCHAFT (ALBERT EINSTEIN)
3 ERWIN SCHRÖDINGER
1 Vedanta (Sanskrit) (Prof. G. von Purucker)
Aus den Upanishaden und aus anderen Teilen des wunderbaren vedischen Literaturzyklus verfaßten die alten Weisen Indiens den in heutiger Zeit so genannten Vedanta - ein zusammengesetztes Sanskritwort mit der Bedeutung "das Ende (oder die Vollendung) des Veda", d. h. Unterweisung in der endgültigen und vollkommensten Auslegung der vedischen Lehrsätze.
Der Vedanta ist die höchste Form, die die brahmanischen Lehren angenommen haben. Sie werden unter dem Namen Uttara-Mimansa Vyasa zugeschrieben, der die Vedas zusammengestellt hat. Der Vedanta ist die vielleicht edelste der sechs philosophischen Schulen Indiens. Der Avatar Shankaracharya war der Hauptverbreiter des vedantischen philosophischen Systems. Die von ihm vertretene Vedantalehre ist technisch ausgedrückt der Advaita - Vedanta oder der nichtdualistische Vedanta.
Der Vedanta kann kurz als ein System mystischer Philosophie bezeichnet werden, das den Anstrengungen von Weisen vieler Generationen entsprungen ist, die geheime oder esoterische Bedeutung der Upanishaden darzulegen. In seiner Advaita-Form ist der Vedanta in vieler, wenn nicht in jeder Hinsicht außerordentlich eng verwandt, ja vielleicht identisch mit einigen mystischen Formen des Buddhismus in Zentralasien. Die Hindus nennen den Vedanta Brahma-Jñâna.
2 Religion und Wissenschaft (ALBERT EINSTEIN)
EINSTEIN, ALBERT, deutscher Physiker, geboren am 14. 3. 1879 in Ulm/ Donau, gestorben am 18. 4, 1955 in Princeton, N. J., USA. Studierte Mathematik und Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (1895-1900) und promovierte dort 1905. Nach einer Tätigkeit am Patentamt in Bern (1902-1908) Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität in Bern (1908-1909), der ETH Zürich (1909-1911), Universität Prag (1911), der ETH Zürich (1912), der Universität Leyden, Holland (1912-1928), am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin (erster Direktor) und an der Universität Berlin (1914-1933), dem Institute for Advanced Studies, Princeton, USA (1933-1955). Legte 1933 seine deutsche Staatsbürgerschaft ab und wurde 1940 Staatsbürger der USA. Berühmt geworden durch seine bahnbrechenden Arbeiten, vor allem zur Begründung der Quantenmechanik (photoelektrischer Effekt), zur Formulierung der speziellen Relativitätstheorie, in der die Zeit mit dem 3-dimensionalen Raum zu einem 4-dimensionalen RaumZeit-Kontinuum verschmolzen wird, die Lichtgeschwindigkeit als höchste Geschwindigkeit für die Übertragung von Wirkungen und die Masse als eine spezielle Form der Energie erscheint, und zur Interpretation der Gravitation als einer geometrischen Eigenschaft des Raum-Zeit-Kontinuums im Rahmen seiner allgemeinen Relativitätstheorie. Arbeitete in seinen späteren Jahren an einer einheitlichen Theorie, in der alle Wechselwirkungen aus einer verallgemeinerten Geometrie folgen sollten. Erhielt 1921 den Nobelpreis für Physik, hauptsächlich für seine Arbeiten zur Quantenmechanik. Stand der Quantenphysik jedoch, wegen ihres nichtobjektiven Charakters, zeitlebens kritisch gegenüber („Der Alte würfelt nicht!“) und führte darüber mit Niels Bohr berühmte Streitgespräche.
Alles, was von den Menschen getan und erdacht wird, gilt der Befriedigung gefühlter Bedürfnisse sowie der Stillung von Schmerzen. Dies muß man sich immer vor Augen halten, wenn man geistige Bewegungen und ihre Entwicklung verstehen will. Denn Fühlen und Sehnen sind der Motor alles menschlichen Strebens und Erzeugens, mag sich uns letzteres auch noch so erhaben darstellen. Welches sind nun dic Gefühle und Bedürfnisse, welche die Menschen zu religiösem Denken und zum Glauben im weitesten Sinne gebracht haben'? Wenn wir hierüber nachdenken, so sehen wir bald, dass an der Wiege des religiösen Denkeils und Erlebens die verschiedensten Gefühle stehen. Beim Primitiven ist es in erster Linie die Furcht, die religiöse Vorstellungen hervorruft. Furcht vor Hunger, wilden Tieren, Krankheit, Tod. Da auf dieser Stufe des Daseins die Einsicht in die kausalen Zusammenhänge gering zu sein pflegt, spiegelt uns der menschliche Geist selbst mehr oder minder analoge Wesen vor, von deren Wollen und Wirken die gefürchteten Erlebnisse abhängen. Man denkt nun, die Gesinnung jener Wesen sich günstig zu stimmen, indem man Handlungen begeht und Opfer bringt, welche nach dem von Geschlecht zu Geschlecht überlieferten Glauben jene Wesen besänftigen bzw. dem Menschen geneigt machen. Ich spreche in diesem Sinne von Furcht-Religion. Diese wird nicht crzcugt, aber doch wesentlich stabilisiert durch die Bildung einer besonderen Priesterkaste, welche sich als Mittlerin zwischen den gefürchteten Wesen und dem Volke ausgibt und hierauf eine Vormachtstellung gründet. Oft verbindet der auf andere Faktoren sich stützende Führer oder Herrscher bzw. eine privilegierte Klasse mit ihrer weltlichen Herrschaft zu deren Sicherung die priesterlichen Funktionen, oder es besteht eine Interessengemeinschaft zwischen der politisch herrschenden Kaste und der Priesterkaste.
Eine zweite Quelle religiösen Gestaltens sind die sozialen Gefühle, Vater und Mutter, Führer größerer menschlicher Gemeinschaften sind sterblich und fehlbar. Die Sehnsucht nach Führun-, Liebe und Stütze gibt den Anstoß zur Bildung des sozialen bzw. des moralischen Gottesbegriffes. Es ist der Gott der Vorsehung, der beschützt, bestimmt, belohnt und bestraft. Es ist der Gott, derj e nach dem Horizont des Menschen das Leben des Stammes, der Menschheit, ja das Leben überhaupt liebt und fördert, der Trösten in Unglück und ungestillter Sehnsucht, der die Seelen der Verstorbenen bewahrt. Dies ist der soziale oder moralische Gottesbegriff.
In der heiligen Schrift des jüdischen Volkes läßt sich die Entwicklung von der Furcht-Religion zur moralischen Religion schön beobachten. Ihre Fortsetzung hat sie im Neuen Testament gefunden. Die Religionen aller Kulturvölker. insbesondere auch der Völker des Orients, sind in der Hauptsache moralische Religionen. Die Entwicklung von der FurchtReligion zur moralischen Religion bildet einen wichtigen Fortschritt im Leben der Völker. Man muß sich vor dem Vorurteil hüten, als seien die Religionen der Primitiven reine Furcht-Religionen, diejenigen der kultivierten Völker reine Moral-Religionen. Alle sind vielmehr Mischtypen, so jedoch, dass auf den höheren Stufen sozialen Lebens die Moral-Religion vorherrscht.
All diesen Typen gemeinsam ist der anthropomorphe Charakter der Gottesidee. Über diese Stufe religiösen Erlebens pflegen sich nur besonders reiche Individuen und besonders edle Gemeinschaften wesentlich zu erheben. Bei allen aber gibt es noch eine dritte Stufe religiösen Erlebens, wenn auch nur selten in reiner Ausprägung; ich will sie als kosmische Religiosität bezeichnen. Diese läßt sich demjenigen, der nichts davon besitzt, nur schwer deutlich machen, zumal ihr kein menschenartiger Gottesbegriff entspricht.
Das Individuum fühlt die Nichtigkeit menschlicher Wünsche und Ziele und die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur sowie in der Welt des Gedankens offenbart. Es empfindet das individuelle Dasein als eine Art Gefängnis und will die Gesamtheit des Seienden als ein Einheitliches und Sinnvolles erleben. Ansätze zur kosmischen Religiosität finden sich bereits auf früher Entwicklungsstufe. zum Beispiel in die Komponente kosmischer Religiosität im Buddhismus, was uns besonders Schopenhauers wunderbare Schriften gelehrt haben. - Die religiösen Genies aller Zeiten waren durch diese kosmische Religiosität ausgezeichnet, die keine Dogmen und keinen Gott kennt, der nach dem Bild des Menschen gedacht wäre. Es kann daher auch keine Kirche geben, deren hauptsächlicher Lehrinhalt sich auf die kosmische Religiosität gründet. So kommt es, dass wir gerade unter den Häretikern aller Zeiten Menschen finden, die von dieser höchsten Religiosität erfüllt waren und ihren Zeitgenossen oft als Atheisten erschienen, manchmal auch als Heilige. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, stehen Männer wie Demokrit, Franziskus von Assisi und Spinoza einander nahe.
Wie kann kosmische Religiosität von Mensch zu Mensch mitgeteilt werden, wenn sie doch zu keinem geformten Gottesbegriff und zu keiner Theologie führen kann? Es scheint mir, dass es die wichtigste Funktion der Kunst und der Wissenschaft ist, dies Gefühl unter den Empfänglichen zu er-wecken und lebendig zu erhalten.
So kommen wir zu einer Auffassung von der Beziehung der Wissenschaft zur Religion, die recht verschieden ist von der üblichen. Man ist nämlich nach der historischen Betrachtung geneigt, Wissenschaft und Religion für unversöhnliche Antagonisten zu halten, und zwar aus einem leichtverständlichen Grund. Wer von der kausalen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens durchdrungen ist, für den ist die Idee eines Wesens, welches in den Gang des Weltgeschehens eingreift, ganz unmöglich vorausgesetzt allerdings, dass er es mit der Hypothese der Kausalität wirklich ernst meint. Die Furcht-Religion hat bei ihm keinen Platz, aber ebensowenig die soziale bzw. moralische Religion. Ein Gott, der belohnt und bestraft, ist für ihn schon darum undenkbar, weil der Mensch nach äußerer und innerer gesetzlicher Notwendigkeit handelt, vom Standpunkt Gottes aus also nicht verantwortlich wäre, sowenig wie ein lebloser Gegenstand für die von ihm ausgeführten Bewegungen. Man hat deshalb schon der Wissenschaft vorgeworfen. dass sie die Moral untergrabe, jedoch gewiß mit Unrecht. Das ethische Verhalten des Menschen ist wirksam auf Mitgefühl. Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage. Es stünde traurig um die Menschen, wenn sie durch Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode gebändigt werden müßten.
Es ist also verständlich, dass die Kirchen die Wissenschaft von jeher bekämpft und ihre Anhänger verfolgt haben. Andererseits aber behaupte ich, dass die kosmische Religiosität die stärkste und edelste Triebfeder wissenschaftlicher Forschung ist. Nur wer die ungeheuren Anstrengungen und vor allem die Hingabe ermessen kann. ohne welche bahnbrechende wissenschaftliche Gedankenschöpfungen nicht zustande kommen können, vermag die Stärke des Gefühls zu ermessen, aus dem allein solche dem unmittelbar praktischen Leben abgewandte Arbeit erwachsen kann. Welch ein tiefer Glaube an die Vernunft des Weltenbaues und welche Sehnsucht nach dem Begreifen wenn auch nur eines geringen Abglanzes der in dieser Welt geoffenbarten Vernunft mußte in Kepler und Newton lebendig sein, dass sie den Mechanismus der Himmelsmechanik in der einsamen Arbeit vieler Jahre entwirren konnten! Wer die wissenschaftliche Forschung in der Hauptsache nur aus ihren praktischen Auswirkungen kennt, kommt leicht zu einer ganz unzutreffenden Auffassung vom Geisteszustand der Männer, welche - umgeben von skeptischen Zeitgenossen - Gleichgesinnten die Wege gewiesen haben, die über die Länder der Erde und über die Jahrhunderte verstreut waren. Nur wer sein Leben ähnlichen Zielen hingegeben hat, besitzt eine lebendige Vorstellung davon, was diese Menschen beseelt und ihnen die Kraft gegeben hat, trotz unzähliger Mißerfolge dem Ziel treu zu bleiben. Es ist die kosmische Religiosität, die solche Kräfte spendet. Ein Zeitgenosse hat nicht mit Unrecht gesagt, dass die ernsthaften Forscher in unserer im allgemeinen materialistisch eingestellten Zeit die einzigen tief religiösen Menschen seien.
3 ERWIN SCHRÖDINGER
SCHRÖDINGER, ERWIN, Österreichischer Physiker, geboren am 12. 8. 1887 in Wien, gestorben am 4. 1. 1961 in Wien. Studierte Physik an der Universität Wien (1906-1910), wo er auch promovierte. Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Wien (1910-1920), der Technischen Hochschule Stuttgart und der Universität Breslau (1921), der Universität Zürich (1921-1927), der Universität Berlin (1927-1933), Oxford University (1933-1936) und der Universität Graz (1936-1938). Nach kurzen Aufenthalten als Flüchtling in Italien und Princeton, USA, Direktor am Institute for Advanced Studies in Dublin (bis 1955). Wichtige wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der spezifischen Wärme von Festkörpern, der statistischen Thermodynamik und der Atomspektren. Berühmt geworden durch die später nach ihm benannte „Schrödinger-Gleichung“ zur wellenartigen Beschreibung der Quantenmechanik, die sich als äquivalent zu der von Heisenberg gefundenen Matrizenmechanik herausstellte. Die Schrödingersche Wellenmechanik entwickelte sich zur effektivsten Methode bei der praktischen Berechnung quantenmechanischer Probleme. Erhielt 1933 dafür (zusammen mit P.A. M. Dirac) den Nobelpreis für Physik.
3.1 Das arithmetische Paradoxon - Die Einheit des Bewußtseins
Der Grund dafür, dass unser fühlendes, wahrnehmendes und denkendes Ich in unserm naturwissenschaftlichen Weitbild nirgends auftritt, kann leicht in fünf Worten ausgedrückt werden: Es ist selbst dieses Weltbild. Es ist mit dem Ganzen identisch und kann deshalb nicht als ein Teil darin enthalten sein. Hierbei stoßen wir freilich auf das arithmetische Paradoxon: Es gibt scheinbar eine sehr große Menge solcher bewußten Iche, aber nur eine einzige Welt. Das beruht auf der Art der Entstehung des Weltbegriffs. Die einzelnen privaten Bewußtseinsbereiche überdecken einander teilweise. Der ihnen allen gemeinsame Inhalt. in dem sie sich sämtlich decken, ist die „reale Außenwelt“. Bei alledem bleibt aber ein unbehagliches Gefühl, das Fragen auslöst wie: Ist meine Welt wirklich die gleiche wie die deine? Gibt es eine reale Welt, verschieden von den Bildern, die auf dem Weg über die Wahrnehmung in einen jeden von uns hineinprojiziert werden? Und wenn es so ist, gleichen diese Bilder der realen Welt, oder ist diese, die Welt „an sich“, vielleicht ganz anders als die Welt, die wir wahrnehmen?
Solche Fragen sind sehr geistreich, aber nach meiner Meinung sehr dazu angetan, in die Irre zu führen. Es gibt keine angemessene Antwort auf sie. Sie sind durchweg Antinomien oder führen auf solche, und diese entspringen aus einer Ouelle, die ich das arithmetische Paradoxon nenne: den vielen Bewußtseins-Ichen, aus deren sinnlichen Erfahrungen die eine Welt zusammengebraut ist. Die Lösung des Zahlenparadoxons würde alle solche Fragen beiseite schaffen und sie nach meiner Überzeugung als Scheinprobleme entlarven.
Aus diesem Zahlenparadoxon gibt es zwei Auswege, die beide vom Standpunkt unsres heutigen naturwissenschaftlichen Denkens (das sich auf altes griechisches Denken gründet, also rein westlich ist) reichlich unsinnig aussehen. Der eine ist die Vervielfachung der Welt in Leibniz' schrecklicher Monadenlehre, in der jede Monade eine Welt für sich ist, es ist keine Verbindung zwischen ihnen. Die Monade „hat keine Fenster“, sie ist „incomunicado“. dass sie dennoch alle miteinander in Einklang sind, nennt man die „prästabilisierte Harmonie“. Es gibt wohl nur wenige, denen diese Lösung zusagt oder die darin auch nur eine Milderung des Problems der numerischen Antinomie erblicken.
Offenbar gibt es nur einen anderen Ausweg: die Vereinigung aller Bewußtseine in eines. Die Vielheit ist bloßer Schein; in Wahrheit gibt es nur ein Bewußtsein. Das ist die Lehre der Upanishaden, und nicht nur der Upanishaden allein. Das mystische Erlebnis der Vereinigung mit Gott führt stets zu dieser Auffassung, wo nicht starke Vorurteile entgegenstehen; und das bedeutet: leichter im Osten als im Westen. Als ein Beispiel neben den Upanishaden zitiere ich Aziz Nasafi , einen islamisch-persischen Mystiker aus dem 13. Jahrhundert, in der Übersetzung von Fritz Meyer,
„Beim Tod jedes Lebewesens kehrt der Geist in die Geisterwelt und der Körper in die Körperwelt zurück. Dabei verändern sich aber immer nur die Körper. Die Geisterwelt ist ein einziger Geist, der wie ein Licht hinter der Körperwelt steht und durch jedes entstehende Einzelwesen wie durch ein Fenster hindurchscheint. Je nach der Art und Größe des Fensters dringt weniger oder mehr Licht in die Welt. Das Licht aber bleibt unverändert.“
Vor einer Reihe von Jahren hat Aldous Huxley ein wertvolles Werk veröffentlicht, The Perennial Philosophy, eine Blütenlese aus den Mystikern der verschiedensten Zeiten und Völker. Wo immer man es aufschlägt, findet man viele schöne Äußerungen ähnlicher Art. Man ist beeindruckt durch die wunderbare Übereinstimmung zwischen Menschen verschiedener Rasse, verschiedener Religion. von denen keiner von der Existenz des anderen wußte und zwischen denen Jahrhunderte und Jahrtausende und die größten Entfernungen auf unserm Erdball lagen.
Aber man muß doch sagen, dass diese Lehre unser westliches Denken wenig anspricht, ihm wenig schmackhaft ist und von ihm als phantastisch und unwissenschaftlich abgelehnt wird. Das beruht darauf, dass unsre - die griechische - Wissenschaft sich auf Objektivierung gründet und sich damit den Weg zu einem angemessenen Verständnis für das erkennende Subjekt, den Geist, versperrt hat. Ich glaube aber, dass hier genau der Punkt ist, in dem unsre gegenwärtige Art zu denken verbessert werden muß, vielleicht durch eine kleine Bluttransfusion von seiten östlichen Denkens. Leicht wird das aber nicht sein, und wir müssen uns vor Fehlgriffen hüten. Bluttransfusionen erfordern ja immer große Vorsicht, wenn kein Gerinnen eintreten soll. Wir möchten doch die logische Exaktheit nicht aufgeben, zu der unser Denken gelangt ist und die zu keiner Zeit je ihresgleichen gehabt hat.
Eines kann jedoch zugunsten der mystischen Lehre von der „ldentität“ aller Bewußtseine untereinander und mit dem höchsten Bewußtsein angeführt werden gegenüber Leibniz' schrecklicher Monadenlehre. Die Identitätslehre kann sich darauf berufen, dass sie durch die Erfahrungstatsache gestützt wird, dass das Bewußtsein nie in der Mehrzahl, immer nur in der Einzahl erlebt wird. Niemand von uns hat je mehr als ein einziges Bewußtsein erlebt, und es gibt auch nicht die Spur eines Indizienbeweises, dass dies je in der Welt stattgehabt hätte. Wenn ich sage, dass im gleichen Geiste nie mehr als ein Bewußtsein sein kann, so sieht das wie eine plumpe Tautologie aus; wir sind ganz außerstande, uns das Gegenteil vorzustellen.
Dennoch gibt es Fälle oder Umstände, wo wir erwarten oder fast fordern könnten. dass dieses Unvorstellbare sich ereignen sollte, sofern es sich überhaupt ereignen kann. Diesen Punkt will ich jetzt in einiger Breite und unter Berufung auf Zitate von Sir Charles Sherrington behandeln. Dieser war gleichzeitig - seltener Fall - ein Genie erster Ordnung und ein nüchterner Gelehrter. Nach allern, was ich von ihm weiß, hatte er für die Philosophie der Upanishaden nicht viel übrig. Im folgenden habe ich die Absicht, vielleicht den Weg zu ebnen für eine künftige Verschmelzung des Identitätsprinzips mit unserm eigenen naturwissenschaftlichen Weltbild, ohne dafür mit einem Verlust an Sachlichkeit und logischer Genauigkeit zahlen zu müssen.
Ich sagte eben, dass wir uns eine Mehrzahl von Bewußtseinen in einem einzigen Geist nicht einmal vorstellen können. Wir können diese Worte immerhin aussprechen, aber sie beschreiben keine irgend denkbare Erfahrung. Selbst im pathologischen Fall einer „gespaltenen Persönlichkeit“ wechseln die beiden Personen miteinander ab, treten aber nie gemeinsam auf. Im Gegenteil; es ist gerade der charakteristische Zug, dass sie voneinander nichts wissen.
Wenn wir im Puppenspiel des Traumes die Fäden mehrerer Darsteller in Händen halten und über ihre Handlungen und ihre Reden verfügen, so wissen wir nicht darum. Nur einer von ihnen bin ich selbst, der Träumende. In ihm handle und spreche ich unmittelbar selbst, während ich ängstlich und gespannt darauf warte, was ein andrer antworten, ob er meine dringende Bitte erfüllen wird. Es kommt mir nicht bei, dass i ch ihn eigentlich tun und sagen lassen könnte, was ich will, und ganz so ist es auch nicht. Denn in einem solchen Traum ist „der ändre“ wohl meist die Verkörperung einer ernsten Schwierigkeit, die mir im wachen Zustande im Wege steht und über die ich tatsächlich keine Macht habe. Dieser seltsame Umstand ist offenbar die Ursache dafür, dass in alten Zeiten die meisten Menschen fest davon überzeugt waren, sie seien wirklich in Verbindung mit den Personen, die ihnen im Traum begegneten, seien sie nun tot oder lebendig oder vielleicht Götter oder Heroen. Dieser Aberglauben hat ein sehr zähes Leben. Um die Wende des 6. Jahrhunderts v. Chr. hat sich Heraklit von Ephesus ganz entschieden gegen ihn ausgesprochen, mit einer Klarheit, wie sie in seinen manchmal sehr dunklen Fragmenten selten ist. Aber Lucretius Carus, der sich selbst für ein Vorbild erleuchteten Denkens hielt, beharrt noch im 1. Jahrhundert v. Chr. auf diesem Aberglauben. Heutzutage ist er wohl selten geworden-, doch bezweifle ich, dass er ganz erloschen ist.
Nun zu etwas ganz anderem. Ich kann mir durchaus nicht vorstellen, wie mein einheitliches und als einheitlich empfundenes Bewußtsein durch eine Integration der Bewußtseine der Zellen, die meinen Leib bilden (oder einiger von ihnen), entstanden sein sollte oder wie er in jedem Augenblick gleichsam ihre Resultante sein sollte. Ein solcher Zellstaat, wie jeder von uns ist, wäre doch für das Bewußtsein geradezu die gegebene Gelegenheit, eine Vielfalt zu manifestieren, wenn es dazu überhaupt fähig wäre. Den Ausdruck Zellstaat dürfen wir heute durchaus nicht mehr als eine bloße Redensart betrachten. Sherrington sagt:
„Wenn man erklärt, dass von den Zellen, die im Aufbau unsres Leibes vereinigt sind, jede einzelne ein auf sich selbst eingestelltes individuelles Leben ist, so ist das keine bloße Redensart. Es ist keine bloße zum Zweck der Beschreibung bequeme Ausdrucksweise. Die Zelle als Bestandteil des Körpers ist nicht lediglich eine sichtbarlich abgegrenzte Einheit, vielmehr eine auf sich selbst als Mittelpunkt abstellende Lebenseinheit. Sie führt ihr Eigenleben ... Die Zelle ist eine Lebenseinheit, und unser Leben, welches seinerseits ebenfalls ein einheitliches ist, besteht ganz und gar aus jenen Zell-Leben.“
Aber man kann diesen Gedanken noch viel konkreter fassen. Hirnpathologie und sinnesphysiologische Untersuchungen sprechen einhellig und eindeutig für eine örtliche Unterteilung des Sensoriums in Bereiche, deren weitgehende Unabhängigkeit uns überrascht, weil man darnach naiverweise erwarten würde, dass ihnen selbständige Bewußtseinssphären entsprechen sollten. Aber es verhält sich nicht so. Ein besonders charakteristisches Beispiel ist das folgende. Wenn ich eine ferne Landschaft zuerst auf die gewöhnliche Weise mit zwei offenen Augen betrachte', dann bei geschlossenem linken Auge nur mit dem rechten Auge und dann umgekehrt, so bemerke ich so gut wie keinen Unterschied. Der psychische Sehraum ist in allen drei Fällen identisch der gleiche. Nun könnte das sehr wohl darauf beruhen, dass die Reizleitungen von einander entsprechenden Netzhautstellen zu dem gleichen zentralen Mechanismus führen, der „die Wahrnehmung besorgt“ genau wie etwa der Klingelknopf an meiner Haustür und der im Schlafzimmer meiner Frau die gleiche Klingel betätigen, die über der Küchentür hängt. Das wäre die einfachste Erklärung; nur ist sie falsch.
Sherrington erzählt uns von sehr interessanten Versuchen über den Schwellenwert der Flickerfrequenz, die ich so kurz wie möglich mitteilen will. Man denke sich in einem Laboratorium einen winzigen Leuchtturm, der in jeder Sekunde sehr viele Lichtblitze aussendet, etwa 40 oder 60 oder 80 oder 100. Wenn man die Frequenz der Blitze steigert, so verschwindet das Flickern bei einer bestimmten, von den Einzelheiten des Versuchs abhängigen Frequenz, und der Beobachter, von dem wir voraussetzen, dass er wie gewöhnlich mit beiden Augen beobachtet, erblickt nun eine stetige Lichterscheinung.** Unter gegebenen Umständen sei der Schwellenwert 60 in jeder Sekunde. Nun machen wir einen zweiten Versuch, bei dem nichts verändert ist, außer dass irgendwie dafür gesorgt ist, dass nur jeder zweite Blitz das rechte Auge und jeder andere Blitz das linke Auge trifft, so dass jedes Auge nur 30 Blitze in jeder Sekunde erhält. Sofern die Reize zu dem gleichen physiologischen Zentrum geleitet würden. sollte das nichts ausmachen. Wenn ich beispielsweise den Klingelknopf an meiner Haustür jede zweite Sekunde drücke und meine Frau das gleiche tut, aber immer abwechselnd mit mir, so wird die Klingel bei der Küche in jeder Sekunde einmal anschlagen, genauso als hätte einer von uns beiden seinen Knopf in jeder Sekunde betätigt oder als hätten wir beide das in jeder Sekunde zugleich getan. So verhält es sich aber beim zweiten Flickerversuch nicht. 30 Blitze in der Sekunde für das rechte Auge und abwechselnd damit 30 Blitze für das linke Auge reichen nicht entfernt aus, um die Empfindung des Flickerns zu beseitigen. Dafür ist die doppelte Frequenz nötig, 60 für das rechte und 60 für das linke Auge, wenn beide Augen offen sind und getrennte Lichtblitze empfangen. Ich gebe die wichtigste Schlußfolgerung mit Sherringtons eignen Worten:
„Nicht räumliche Vereinigung im Gehirn ist es, was sie (nämlich die beiden Nachrichten) verschmilzt. Es macht ganz den Eindruck, als würde das vom rechten und das vom linken Auge kommende Bild von je einem Beobachter erblickt und als würden die Bewußtseine der beiden Beobachter zu einem einzigen Bewußtsein verschmelzen. Es ist, als würden die Wahrnehmungen des rechten und des linken Auges einzeln verarbeitet und erst geistig zu einer einzigen verschmolzen ... Es ist, als wäre jedem Auge ein Sensorium von erheblichem Rang zu eigen, in welchem die auf das betreffende Auge sich stützenden geistigen Vorgänge bis an die Schwelle ganz voller Wahrnehmung ausgearbeitet werden. Deren würde es zwei geben, eines für das rechte und eines für das linke Auge. Für ihr Zusammenarbeiten im Bewußtsein scheint nicht durch strukturelle Verbindung, sondern dadurch vorgesorgt zu sein, dass sie gleichzeitig in Aktion treten.“
Hierauf folgen sehr allgemeine Überlegungen, aus denen ich wieder nur die charakteristischsten Sätze herausgreifen will:
„Gibt es dann also quasi-unabhängige Partialgehirne, die sich auf die gesonderten Sinnessphären stützen ? Die alten „fünf“ Sinne - anstatt in einem Großhirn etwa unentwirrbar miteinander verflochten zu sein und selber in einem übergeordneten Mechanismus aufzugehen - sind dort noch reinlich gegeneinander abgegrenzt anzutreffen, jeder in seinem besonderen Distrikt. - Inwieweit ist das Bewußtsein ein Kollektiv quasi unabhängiger Wahrnehmungssphären, deren geistige Integration weitehend auf der Gleichzeitigkeit des Erlebnisablaufs beruht? ... Sobald das „Geistige“ in Frage kommt, baut das Nervensystem sich zur Ganzheit auf, nicht dadurch, dass eine zentrale Zelle den Oberbefehl übernimmt, sondern es bildet sich eine millionenfache Demokratie, deren konstituierende Einheit die Zelle ist ... Das Gesamtleben, aus Partialleben zusammengeschweißt, verrät, obgleich zur Ganzheit geworden, seinen summativen Charakter, es offenbart sich als eine Angelegenheit winzigster Lebenszentren, die zusammenwirken. . . Betrachten wir nun aber den Geist, so findet sich nichts dergleichen. Die einzelne Nervenzelle ist niemals ein Miniaturgehirn. Dafþr, dass der Leib sich aus Zellen aufbaut, gibt die Beschaffenheit des Bewußtseins nicht den leisesten Anhaltspunkt ... Eine einzige Führerzelle im Gehirn könnte dem Seelenleben keinen einheitlicheren, weniger atomistischen Charakter sichern, als das Großhirn mit seiner Rinde aus Millionen Zellen es tut. Materie und Energie scheinen eine körnige Struktur zu haben, und das Leben gleichfalls, aber nicht der Geist.“
Ich habe diejenigen Stellen angeführt, die mir den stärksten Eindruck gemacht haben. Man sieht, wie Sherrington, im Besitz eines souveränen Wissens von den tatsächlichen Vorgängen im lebenden Körper, mit einem Paradoxon ringt, das er bei der Klarheit seines Denkens und seiner intellektuellen Redlichkeit nicht zu verbergen oder wegzuerklären versucht (wie es manche andere tun würden, ja getan haben). Er stellt es vielmehr unerbittlich heraus, da er sehr genau weiß, dass das der einzige Weg ist, auf dem man jegliches Problem in Naturwissenschaft und Philosophie seiner Lösung näherbringen kann, während man den Fortschritt verhindert und den Widerspruch verewigt (nicht für immer, doch so lange, bis jemand auf den Schwindel drauf kommt), wenn man ein Pflästerchen von niedlichen Phrasen darüber breitet. Auch Sherringtons Paradoxon ist ein arithmetisches, ein Zahlenparadoxon, und mir scheint, es hat sehr viel mit jenem zu tun, das ich vorhin so genannt habe, obgleich es mit ihm keineswegs identisch ist. Das frühere Paradoxon war, kurz gesagt, die eine Welt, herauskristallisiert aus den vielen Bewußtseinen. Sherringtons Paradoxon ist der eine Geist, der scheinbar auf den vielen Zell-Leben beruht oder, anders betrachtet, auf den mannigfachen Unter-Gehirnen, deren jedes einen so hohen, ihm eigentümlichen Rang zu haben scheint, dass wir uns genötigt sehen, es mit einem Unter-Geist zu verknüpfen. Wir wissen aber, dass ein Unter-Geist eine ebenso abscheuliche Mißgeburt ist wie ein Vielfach-Geist, da beide weder ein Gegenstück in irgendeines Menschen Erfahrung haben noch ircend vorstellbar sind.
Ich wage zu glauben, dass man beide Paradoxa lösen wird (ich gebe nicht vor, sie hier und jetzt zu lösen), indem man dem Bau unsrer westlichen Naturwissenschaft die östliche Identitätslehre einverleibt. Bewußtsein gibt es seiner Natur nach nur in der Einzahl. Ich möchte sagen: Die Gesamtzahl aller „Bewußtheiten“ ist immer bloß „eins“. Ich wage, den Geist unzerstörbar zu nennen, denn er hat sein eigenes und besonderes Zeitmaß; nämlich er ist jederzeit jetzt. Für ihn gibt es in Wahrheit weder früher noch später, sondern nur ein Jetzt, in das die Erinnerungen und die Erwartungen einbeschlossen sind. Doch gebe ich zu, dass unsre Sprache das nicht auszudrücken vermag; und ich gebe auch zu - sofern jemand daran liegt, das festzustellen -, dass ich jetzt von Religion, nicht von Naturwissenschaft, spreche, doch von einer Religion, die der Naturwissenschaft nicht widerspricht, sondern ihre Stütze in dem findet, was unvoreingenommene Naturwissenschaft ans Licht gebracht hat.
Sherrington sagt: „Der menschliche Geist ist ein sehr junges Erzeugnis der Oberfläche unseres Erdballs.“ Natürlich stimme ich dem bei. Würde das zweite Wort („menschliche“) fehlen, so täte ich es nicht ... Es wäre sonderbar, ja lächerlich, wollte man meinen, der anschauende, bewußte Geist, der als einziger über das Weltgeschehen nachsinnt, habe erst irgendwann im Laufe dieses Werdens die Bühne betreten; er sei ganz zufällig aufgetreten, im Zusammenhang mit einer sehr speziellen biologischen Ausrüstung, die ganz offenbar die Aufgabe erfüllt, gewissen Formen des Lebens die Behauptung in ihrer Umwelt zu erleichtern und so ihre Erhaltung und Fortdauer zu begünstigen; Lebensformen, die erst spät gekommen und denen viele andere vorangegangen sind, die sich erhielten ohne jene besondere Ausrüstung (ein Gehirn). Nur ganz wenige von ihnen (nach Arten gerechnet) haben den besonderen Weg eingeschlagen, „sich ein Gehirn anzuschaffen“. Und bevor das geschah, sollte das Ganze ein Spiel vor leeren Bänken gewesen sein'! Ja, können wir denn eine Welt, die niemand wahrnimmt, überhaupt so nennen'? Wenn ein Archäologe eine längst versunkene Stadt oder Kultur rekonstruiert, so interessiert er sich für menschliches Leben, Handeln, Schauen, Denken, Fühlen, für Freud und Leid in der Vergangenheit, die sich ihm dort und dann entschleiert. Aber eine Welt, die viele Millionen Jahre bestanden hat, ohne dass irgendein Bewußtsein sie gewahr wurde und angeschaut hat, ist das überhaupt irgend etwas? Gab es sie? Wir wollen doch dies nicht vergessen: Wenn wir oben gesagt haben, dass das Werden der Welt sich in einem bewußten Geist spiegelt, so ist das nur ein Klischee, eine Redensart, eine Metapher, die Bürgerrecht erworben hat. Nichts spiegelt sich! Die Welt ist nur einmal gegeben. Urbild und Spiegelbild sind eins. Die in Raum und Zeit ausgedehnte Welt existiert nur in unsrer Vorstellung. dass sie außerdem noch etwas anderes sei, dafür bietet jedenfalls die Erfahrung - wie schon Berkeley wußte - keinen Anhaltspunkt.
Aber das Idyll einer Welt, die erst, nachdem sie viele Millionen Jahre ungeschaut existiert hatte, ehe sie auf den Einfall kam, sich Gehirne anzuschaffen, um sich damit selbst zu betrachten, hat noch eine recht tragische Fortsetzung, die ich wieder mit Sherringtons Worten schildern will:
„Die energetiscbe Welt, so wird uns gesagt, steht im Begriff, sich totzulaufen. Sie strebt unaufhaltsam einem Gleichgewicht zu, welches endgültig sein wird. Einem Gleichgewicht, bei dem es kein Leben geben kann. Doch entwickelt sich Leben ohne Unterlaß. Unser Planet in seiner Umgebung hat es entwickelt und entwickelt es weiter. Mit ihm entwickelt sich Bewußtsein. Wenn Bewußtsein kein energetisches System ist, wie wird das Totlaufen der Welt ihm bekommen? Kann es dabei unversehrt bleiben? Immer ist, nach allem, was wir wissen, das endliche Bewußtsein irgendwie geknüpft an ein funktionierendes energetisches System. Wenn dieses nun die Funktion einstellt, was dann mit dem begleitenden Bewußtsein? Wird die Welt, welche das endliche Bewußtsein ausgebildet hat und fortfährt, es auszubilden, es dann zugrunde gehen lassen?“
Solche Überlegungen sind in mancher Hinsicht verwirrend. Uns verwirrt die seltsame Doppelrolle, die das Bewußtsein (oder der Geist) spielt. Einerseits ist es der Schauplatz, und zwar der einzige Schauplatz, auf dem sich dieses ganze Weltgeschehen abspielt. oder das Gefäß, das alles in allem enthält und außerhalb dessen nichts ist. Andrerseits gewinnen wir den, vielleicht irrigen, Eindruck. dass das Bewußtsein inmitten dieses Weltgetriebes an gewisse, sehr spezielle Organe gebunden ist, welche, obgleich sicher das Interessanteste, was die Tier- und Pflanzenphysiologie kennt, doch nicht einzig in ihrer Art, nicht suigeneris sind. Denn gleich manchen anderen Organen dienen sie ja schließlich nur der Lebensbehauptung ihrer Träger, und dem allein ist es zuzuschreiben, dass sie sich im Prozeß der Artbildung durch natürliche Auslese entwickelt haben.
Zuweilen stellt ein Maler in sein großes Gemälde oder ein Dichter in sein lancyes Gedicht eine unscheinbare Nebenfigur, die er selbst ist. So hat wohl der Dichter der Odyssee mit dem blinden Barden, der in der Halle der Phäaken Troja besingt und den vielgeprüften Helden zu Tränen rührt, bescheiden sich selbst gemeint. Auch im Nibelungenlied begegnet uns auf dem Zuge durch die österreichischen Lande ein Poet, den man im Verdacht hat, der Dichter des Epos zu sein. Auf Dürers Allerheiligenbild scharen sich zwei große Zirkel von Gläubigen anbetend um die hoch in Wolken schwebende Dreifaltigkeit, ein Kreis von Seligen in den Lüften, ein Kreis von Menschen auf Erden, unter ihnen Könige und Kaiser und Päpste, und, wenn ich mich recht erinnere, der Künstler selbst, eine bescheidene Nebenfigur, die ebensogut fehlen könnte.
Mir scheint dies das beste Gleichnis für die verwirrende Doppelrolle des Geistes. Einerseits ist er der Künstler, der alles geschaffen hat; im vollendeten Werk dagegen ist er nur eine unbedeutende Staffage, die getrost fehlen könnte, ohne die Gesamtwirkung zu beeinträchtigen.
Wenn wir aber nicht in Gleichnissen reden wollen, so müssen wir bekennen, dass wir es hier mit einer jener typischen Antinomien zu tun haben, die darauf zurückgehen, dass es uns jedenfalls bisher nicht gelungen ist, ein einigermaßen verständliches Weltbild aufzubauen, ohne unsern eignen Geist, den Schöpfer des ganzen Weltbildes, daraus zu verbannen, derart, dass darin für ihn kein Platz ist. Der Versuch, ihn hineinzuwängen, führt notwendig zu Ungereimtheiten.
Ich habe schon früber die Tatsache erörtert, dass aus dem gleichen Grunde im physikalischen Weltbild alle Sinnesqualitäten fehlen, aus denen das Subjekt der Erkenntnis sich eigentlich zusammensetzt. Dem Modell fehlen Farben, Töne, Greifbarkeit. Ebenso und aus dem gleichen Grunde mangelt der Welt der Naturwissenschaft alles, was eine Bedeutung in bezug auf das bewußt anschauende, wahrnehmende und fühlende Wesen hat; von alledem enthält sie nichts. Vor allem denke ich an die sittlichen und ästhetischen Werte, Werte von jeder Art, an alles, was auf Sinn und Zweck des ganzen Geschehens Bezug hat. Nicht nur fehlt dieses alles, sondern es kann von einem rein naturwissenschaftlichen Standpunkt aus überhaupt nicht organisch eingebaut werden. Wenn man es einzubauen versucht, wie ein Kind seine schwarzweiße Malvorlage koloriert, so paßt es nicht hinein. Denn alles, was man in dieses Weltmodell eingehen läßt, nimmt stets die Form einer naturwissenschaftlichen Aussage an, ob man will oder nicht; als solche aber wird es falsch.
Leben ist ein Wert an sich. „Hegt Ehrfurcht vor dem Leben!“ Etwa so hat Albert Schweitzer das Grundgebot aller Sittlichkeit formuliert. Die Natur aber kennt keine Ehrfurcht vor dem Leben. Sie verfährt mit ihm, als sei es das Wertloseste in der Welt. Millionenfach gezeugt, wird es zum größten Teil sehr schnell wieder vernichtet oder anderem Leben als Beute vorgeworfen. Gerade das ist ihr Königsweg, immer neue Lebensformen zu erzeugen. „Du sollst nicht quälen! Tue niemand ein Leides an!“ Die Natur weiß hiervon nichts. Ihre Geschöpfe sind darauf angewiesen, einander in stetem Kampf zu martern.
„Es ist nichts weder gut noch böse. Das Denken erst macht es dazu.“ Kein natürliches Geschehen ist gut oder böse an sich, und ebenso ist es an sich weder schön noch häßlich. Es fehlen die Werte, und insbesondere fehlen Sinn und Zweck. Die Natur handelt nicht nach Zwecken. Wenn wir von zweckmäßiger Anpassung eines Organismus an seine Umwelt sprechen, so wissen wir, dass das nur eine bequeme Redeweise ist. Nehmen wir sie wörtlich, so irren wir, jedenfalls im Rahmen unsres Weltbildes. In ihm gibt es nur ursächliche Verknüpfung'.
Am schmerzlichsten ist das völlige Schweigen unseres ganzen naturwissenschaftlichen Forschens auf unsere Fragen nach Sinn und Zweck des ganzen Geschehens. Je genauer wir hinsehen, um so zweckloser und sinnloser kommt es uns vor. Das Spektakel, das sich da abspielt, erhält einen Sinn offenbar nur in bezug auf den Geist, der ihm zuschaut. Was uns die Naturwissenschaft über diesen Bezug zu melden weiß, ist ausgemacht ungereimt. Als sei der Geist nur durch eben dieses Spektakel entstanden, dem er nun zuschaut, und als werde er mit ihm wieder vergehen, wenn die Sonne schließlich erkältet sein und die Erde sich in eine Wüste von Eis und Schnee verwandelt haben wird.
Nur kurz will ich den notorischen Atheismus der Naturwissenschaft erwähnen, der natürlich zum gleichen Thema gehört. Wieder und wieder erfährt die Naturwissenschaft diesen Vorwurf, aber zu Unrecht. Der persönliche Gott kann in einem Weltbild nicht vorkommen, das nur zugänglich geworden ist um den Preis, dass man alles Persönliche daraus entfernt hat. Wir wissen: Wenn Gott erlebt wird, so ist das ein Erlebnis, genauso real wie eine unmittelbare Sinnesempfindung oder wie die eigene Persönlichkeit. Wie diese muß er im raum-zeitlichen Bilde fehlen. „Ich finde Gott nicht vor in Raum und Zeit“, so sagt der ehrliche naturwissenschaftliche Denker. Und dafür wird er von denen gescholten in deren Katechismus geschrieben steht: Gott ist Geist.
3.2 Was ist wirklich?
Die Gründe für das Aufgeben des Dualismus von Denken und Sein oder von Geist und Materie
Wahrscheinlich aus historischen Gründen - Sprache, Schule - liegt dem natürlichen Denken eines einfachen Menschen von heute die dualistische Auffassung der Relation zwischen Geist und Materie (engl. mindand matter) am nächsten. Es macht ihm keine Beschwer, sich zu denken, dass wir durch unseren Willen zunächst Teile unseres eigenen Lebens und dann mittels derselben auch andere körperliche Dinge bewegen, ferner dass körperliche Dinge, die mit unserem Leib in Berührung kommen, mittels der Nervenleitung Tastgefühle erzeugen und dass ebenso eine Luftschwingung, die das Ohr trifft, Klang, und Licht, welches das Auge trifft, eine Gesichtsempfindung verursacht und ebenso oder ganz ähnlich für Geruch-, Geschmack-, Wärmeempfindung. Bei sorgfältigerem Hindenken sollten wir aber doch nicht so bereit sein, die Wechselwirkung der Begebenheiten in zwei ganz verschiedenen Bereichen - wenn es wirklich verschiedene Bereiche sind - gelten zu lassen, weil das eine (die ursächliche Bestimmung der Materie durch den Geist, engl. mind) notwendig die Eigengesetzlichkeit des materiellen Geschehens stören müßte, während das andere (die ursächliche Beeinflussung des Geistes durch Körper oder ihnen Gleichzustellendes, wie etwa Licht) sich unserem Verständnis vollkommen verschließt; kurz gesagt, weil wir ganz und gar nicht einsehen, wie materielles Geschehen sich in Empfindung oder Gedanken umsetzen soll, wenn auch, trotz Du Bois-Reymond, in sehr vielen Lehrbüchern davon gefaselt wird.
Diese Unzukömmlichkeiten lassen sich doch wohl nur so vermeiden, dass man den Dualismus aufgibt. Das ist schon öfter vorgeschlagen worden, merkwürdigerweise meistens auf materialistischer Basis. Der erste Versuch dieser Art war wohl der ganz naive des großen Demokrit, der die Seele gleichfalls aus Atomen bestehen ließ, aber aus besonders feinen, glatten, kugelrunden, darum leicht beweglichen. (Das war nicht ganz ohne Rückschläge, wie Diels' berühmtes Fragment 125 zeigt, das erst um 1900 in den Schriften des Galen entdeckt wurde.) Epikur und Lukrez folgten dieser Spur mit der köstlichen „Verbesserung“ der „Anwandlungen“, meist dem ersteren zugeschrieben, die eingestandenermaßen die Willensfreiheit bei Mensch und Tier erklären sollten und diesbezüglich in allerjüngster Zeit eine bemerkenswerte Parallele gefunden haben. Wenig verzeihlich wird man auch den monistischen Versuch Haeckels und seiner Schule finden, auf derenwissenschaftliche Verdienste dadurch ein Schatten fällt. Spinozas Vereinbeitlichung in einer Substanz, die er Gott nannte, mit zwei uns bekannten Attributen, Ausdehnung und Denken, vermied immerhin den gröbsten Verstoß, indem die Wechselwirkung ausdrücklich abgelehnt wird, will uns aber bei größter Hochschätzung dieses außerordentlich sympathischen, völlig aufrichtigen und selbstlosen Denkers doch mehr formal erscheinen. Bertrand Russell machte in The Analysis of Mind einen verheißungsvollen Ansatz, indem er Seelenzustände und Körper aus Elementen gleicher Art zusammengesetzt sein ließ, bloß in verschiedener Weise gebündelt. Dem steht die hier folgende Ausführung am nächsten. Es kommt mir aber so vor, dass Russell schon sehr bald vor dem unbedingt geforderten, aber das Denken für den Alltag doch allzu fremdartig anmutenden, grundsätzlichen Aufgeben des Begriffs der realen Außenwelt zurückscheute, die sehr bald wieder bei ihm auftritt; wohl um die breite Sphäre des Überlappens der verschiedenen persönlichen Erfahrungsbereiche nicht als das Wunder hinnehmen zu müssen, das es doch eben in Wahrheit ist und bleibt.
Es hilft aber nichts. Entschließt man sich, nur einen Bereich zu haben, dann muß es, da das Psychische doch jedenfalls da ist (cogitat - est), der psychische sein. Und der Annahme einer Wechselwirkung zweier Bereiche haftet etwas Magisch-Geisterhaftes an, oder besser gesagt, schon durch diese Annahme allein werden sie zu einem einzigen vereinigt.
Nach dem eben erwähnten bedeutsamen Ansatz (The Analysis of Mind, Lecture V, 4. Aufl. 1933), wonach das Physische und das Psychische aus gleichen Elementen bestehen, bloß in verschiedener Bündelung, während die Elemente selbst weder als psychisch noch als physisch zu bezeichnen seien, nimmt es einen wunder, den großen Denker 1948 (Human Knowledge, its Scope and Limits, Part VI, Chapter VI, p. 480) doch wieder in die Reihe derer treten zu sehen. welche uns mit leisem Spott mitteilen, dass es allerdings Denker gebe, welche vorgeben, dass sie an der realen Existenz der Außenwelt zweifeln, wobei Russell fast mit der als Irish bull bekannten Ironie hinzufügt, seines Erachtens könne ein solcher Standpunkt zwar nicht widerlegt, aber doch nicht wirklich eingenommen werden, auch nicht von denen, die dafür eintreten. (Mir kommt vor, dass diese zwei Aussagen einander widersprechen, so dass die Richtigkeit beider zugleich auch nicht einmal vermutet werden kann.) Dabei ist übrigens nicht etwa nur vom Solipsismus und von der Leibnizschen Monadologie die Rede, welche allerdinas beide als Beispiele angeführt werden, wohl um durch die Erinnerung an diese zwei schwächsten Formen des monistischen (oder quasi-monistischen) Idealismus die Wirkung der stets unwiderstehlichen Überzeugungskraft dieses unübertroffenen Sprechers ganz außer Frage zu stellen.
Es will mir scheinen, dass der Wunsch, alle Wirklichkeit auf seelisches Erleben zurückzuführen, viel tiefer begründet ist als etwa nur ein eigensinniges Verleugnenwollen einer Vorstellung (nämlich eben von der realen Außenwelt), ohne welche wir im praktischen Leben keinen Schritt vorankommen. Diese Vorstellung ist ja selbst ein mentales Gebilde und soll gar nicht in Abrede gestellt werden. Bloß wenden wir uns erstens gegen die Behauptung, es müsse außer ihr oder neben ihr noch ein Objekt existieren. wovon sie die Vorstellung ist und/oder von welchem sie verursacht wird. Denn das scheint mir eine ganz überflüssige Verdoppelung, welche gegen Occams Rasierklinge verstößt; ferner wissen wir nicht, was hier „existieren“ bedeuten soll, ein Begriff, der für die Vorstellung selber ja nicht benötigt wird, weil sie sich, wenn auch in sehr verwickelter Art. auf schlechthin Gegebenes aufbaut: endlich würde eine Ursache-Wirkungs-Relation zwischen jenem „existierenden“ Etwas und der auf schlechthin Gegebenes aufgebauten Vorstellungswelt ein völlig Neues und der Erläuterung Bedürftiges sein, das vorerst mit dem Kausalnexus innerhalb der vorgestellten Welt garnichts zu tun hätte; welch letzterer überdies, wie wir schon seit George Berkeley und noch klarer seit David Hume wissen, nicht so unmittelbar der Beobachtung zugänglich und viel problematischer ist, als die auf Hume folgender Denker, selbst der große Immanuel Kant, angenommen zu haben scheinen.
Dies war der erste Punkt. Der zweite, nicht minder wichtige ist dieser: Die in Rede stehende Vorstellung, die abzuleugnen uns wie gesagt nicht einfällt, schließt auch meinen Eigenleib mit ein, trotz des Wörtleins „außen“, das üblicherweise in ihrer Beziehung vorkommt. Man sieht daraus - ganz beiläufig -, dass es sich nicht empfiehlt, die Vorstellungen und Gedanken eines Menschen in seinen Kopf zu verlegen, denn damit ließe man neben vielen anderen auch die ganze Außenwelt in einem Teil ihrer selbst enthalten sein, was gewiß nicht angemessen wäre, selbst wenn es solcher Köpfe nur einen einzigen geben würde. - Man überlege nun folgenden sehr allgemeinen Sachverhalt, den ich um der Anschaulichkeit willen an einem konkreten Fall erläutern will. Ich sitze auf einer Bank im Park und hänge meinen Gedanken nach. Plötzlich tritt jemand vor mich hin, greift nach meinem linken Oberschenkel oberhalb des Knies und zwickt mich mäßig stark, was nicht gerade weh tut, aber unangenehm ist. Ich blicke auf, ob es etwa ein Freund ist, der mich mit diesem Scherz begrüßt, sehe aber, es ist ein halbwüchsiger Lausebengel mit widerlichen Gesichtszügen. Einen Augenblick überlege ich, ob eine Ohrfeige am Platz ist, unterlasse sie aber, packe den Buben am Kragen und führe ihn einem Schutzmann zu, der eben am Ende des Laubganges sichtbar wird.
Die meisten von uns sind nun der Meinung, dass dieser ganze Vorgang sich innerhalb der Außenweltvorstellung kausal verfolgen und, wenn diese nur genügend vollkommen wäre, verstehen, das heißt, auf deren allgemein festgestellte Gesetzmäßigkeiten zurückführen ließe, ohne dass es dabei auf die Empfindungen und Gedanken, welche ich während der ganzen kleinen Szene habe, überhaupt ankommt. Wir glauben nicht, dass ein Außenweltkörper, nämlich jener Lausbub, in meinem Geist mittels der Nervenleitung das Gefühl des Gezwicktwerdens hervorruft, dass dann besagter Geist, nach Empfang weiterer Informationen von der Außenwelt und kurzer Überlegung, seinem Arm befiehlt. das Schlafittchen jenes Außenweltkörpers zu ergreifen und ihn dem eben am Eingang der Allee bemerkten Polizisten zuzuschleifen. Man muß diese Auffassung nicht teilen, man mag immerhin die zuerst angedeutete, sozusagen natürliche Erklärung innerhalb der Außenweltvorstellung allein für ein Vorurteil halten; aber als zulässige heuristische Hypothese muß sie gelten lassen, auch wer sie nicht teilt; viele halten sie für die einfachste und daher - wieder nach der Rasierklinge - gebotene, weil nämlich über die Wechselwirkung zwischen Geist und Leib gar nichts bekannt ist, weder bei der Sinnesempfindung noch bei der Willkürbewegung. Alsdann besteht aber die Gefahr, dass die psychische Erlebnisreihe zu einer bloßen Begleiterscheinung des physischen Geschehens wird, ohne welche das letztere ganz ebenso ablaufen würde wie mit ihr, weil sie für sich selber sorgt und der psychischen Aufsichtsperson nicht bedarf, die Gefahr, dass das für uns Wesentliche und Interessante zu einer überflüssigen Nebensache wird, die auch fehlen könnte, so dass man nicht weiß, wozu es eigentlich da ist, diese Gefahr, sage ich, besteht, wenn man vergißt, dass der besagte Kausalnexus in der Außenweltvorstellung gesetzt wird, wenn man darauf besteht, ihn in eine „existierende“ und in sich selbst ruhende, auf unser psychisches Erleben nicht angewiesene Außenwelt zu verlegen. Wir kommen so, wie mir scheint, zu dem ziemlich paradoxen Ergebnis: Die Bedingungen dafür, dass wir, ohne uns in offenbaren Unsinn zu verwickeln, das Geschehen im Leib eines lebenden, fühlenden. denkenden Wesens auf natürliche Art, das heißt, ganz so wie in unbelebten Körpern sich abspielend uns denken dürfen - ohne lenkenden Dämon, ohne Verstoß gegen etwa den Entropiesatz, ohne Entelechie, vis viva oder gleichgestellten Plunder -, diese Bedingung, sage ich, ist, dass wir alles Geschehen in unserer Weltvorstellung vor sich gehend denken, ohne derselben ein materielles Substrat als Objekt zu unterlegen, von welchem sie die Vorstellung wäre und welches nun wirklich gänzlich überzählig sein würde.
3.3 Die vedantische Grundansicht
Und deines Geistes höchster Feuerflug hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug.
Goethe
Die eigentliche Schwierigkeit für die Philosophie liegt in der räumlichen und zeitlichen Vielheit anschauender und denkender Individuen. Würde alles Geschehen sich nur in einem Bewußtsein abspielen, so wäre der Sachverhalt höchst einfach. Es wäre ein Vorgefundenes, schlechthin Gegebenes da, welches - es möchte im übrigen wie immer beschaffen sein - eine Schwierigkeit von der tatsächlich bestehenden Größenordnung wohl kaum darbieten könnte. Ich glaube nicht, dass die Lösung des Knotens auf logischem Wege durch folgerichtiges Denken innerhalb unseres Intellekts möglich ist. Wohl aber läßt sie sich sehr leicht in Worten aussprechen, nämlich: Die wahrgenommene Vielheit ist nur Schein, sie besteht in Wirklichkeit gar nicht. Die Philosophie des Vedänta hat dieses ihr Grunddogma durch manches Gleichnis zu verdeutlichen gesucht, wovon eines der ansprechendsten das vom Kristall ist, der von einem nur einmal vorkommenden Gegenstand Hunderte von kleinen Abbildern zeigt, ohne dass doch der Gegenstand dadurch wirklich vervielfacht würde. Wir Verstandesmenschen von heute sind nicht gewohnt, bildhafte Gleichnisse für philosophische Erkenntnis gelten zu lassen, wir verlangen eine logische Deduktion. Demgegenüber läßt sich aber vielleicht durch folgerichtiges Denken wenigstens so viel erschließen. dass ein Erfassen des Grundes (franz. fond) der Erscheinung durch folgerichtiges Denken aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich sein dürfte, da dieses doch selbst der Erscheinung angehört, ganz in ihr befangen ist; und es läßt sich fragen, ob wir deshalb auf eine bildhafte, gleichnisweise Anschauung des Sachverhaltes verzichten müssen, wenn sich ihr Zutreffen auch nicht streng beweisen läßt. Folgerichtiges Denken führt uns in einer großen Zahl von Fällen bis zu einem bestimmten Punkt, wo es uns im Stich läßt. Gelingt es uns, das direkt nicht erschließbare Gebiet, in das diese Denkwege hinauszuführen scheinen, in solcher Weise zu ergänzen, dass die Wege nicht mehr ins Uferlose führen, sondern nach einer zentralen Stelle dieses Gebiets konvergieren, so kann darin eine höchst schätzenswerte Abrundung unseres Weltbildes liegen, deren Wert nicht mehr nach der Zwangsläufigkeit und Eindeutigkeit zu beurteilen ist, mit der die Ergänzung zunächst vorgenommen. Die Naturwissenschaft verfährt in hundert Einzelfällen auf diese Art und hat sie längst als berechtigt anerkannt.
Wir werden später versuchen, einige Stützen der vedantischen Grundansicht beizubringen, vornehmlich indem wir einzelne Wege des modernen Denkens aufzeigen, die gegen sie konvergieren. Vorerst sei gestattet, ein konkretes Bild des Erlebnisses zu entwerfen, das etwa zu ihr führen kann. Die im Anfanp- des fol2enden geschilderte spezielle Situation könnte dabei füglich durch jede andere ersetzt werden und soll nur daran erinnern, dass die Sache erlebt sein will, nicht einfach nur verstandesmäßig zur Kenntnis genommen.
Nimm an, du sitzest in einer Hochalpenlandschaft auf einer Bank am Wege. Rings um dich her Grashalden, mit Felsblöcken durchsprengt, am Talhang gegenüber ein Geröllfeld mit niedrigem Erlengestrüpp. Steil geböschtes Waldgebirge zu beiden Seiten des Tals bis hoch hinauf an die baumlosen Almmatten; und vor dir vom Talgrund aufsteigend der gewaltige firngekrönte Hochgipfel, dessen weiche Schneelenden und scharfk-antige Felsgrate jetzt eben der letzte Strahl der scheidenden Sonne in zartestes Rosenrot taucht, wundervoll abgehoben von dem durchsichtig klaren, blaßblauen Firmament.
All das, was dein Auge sieht, ist - nach der bei uns gewöhnlichen Auffassung - mit geringen Veränderungen Jahrtausende lang vor dir dagewesen. Über ein Weilchen - nicht lange - wirst du nicht mehr sein, und Wald, Fels und Himmel werden Jahrtausende nach dir noch unverändert dastehen.
Was ist's, das dich so plötzlich aus dem Nichts hervorgerufen, um dieses Schauspiel, das deiner nicht achtet, ein Weilchen zu genießen'? Alle Bedingungen für dein Sein sind fast so alt wie der Fels. Jahrtausende lang haben Männer gestrebt, gelitten und gezeugt. haben Weiber unter Schmerzen geboren. Vor hundert Jahren vielleicht saß ein anderer an dieser Stelle, blickte gleich dir, Andacht und Wehmut im Herzen, auf zu den verglühenden Firnen. Er war vom Mann gezeugt, vom Weib geboren gleich dir. Er fühlte Schmerz und kurze Freude wie du. War es ein anderer? Warst du es nicht selbst? Was ist dies dein Selbst? Welche Bedingung mußte hinzutreten, damit dies Erzeuele du wurdest, gerade du, und nicht - ein anderer? Welchen klar faßbaren, naturwissenschaftlichen Sinn soll denn dieses „ein anderer“ eigentlich haben? Hätte sie, die jetzt deine Mutter ist, einem anderen beigewohnt und mit ihm einen Sohn gezeugt. und dein Vater desgleichen, wärst du geworden? Oder lebtest du in ihnen, in deines Vaters Vater ... schon seit Jahrtausenden, Und wenn auch dies, warum bist du nicht dein Bruder, dein Bruder nicht du, warum nicht einer deiner entfernten Vettern? Was läßt dich einen so eigensinnigen Unterschied entdecken - den Unterschied zwischen dir und einem anderen-, wo objektiv dasselbe vorliegt?
Unter solchem Anschaung und Denken kann es geschehn, dass urplötzlich die tiefe Berechtigung jener vedantischen Grundüberzeuoung aufleuchtet: Unmöglich kann die Einheit, dieses Erkennen, Fühlen und Wollen, das du das deine nennst, vor nicht allzulanger Zeit in einem angebbaren Augenblick aus dem Nichts entsprungen sein; vielmehr ist dieses Erkennen, Fühlen und Wollen wesentlich ewig und unveränderlich und ist numerisch nur eines in allen Menschen, ja in allen fühlenden Wesen. Aber auch nicht so, dass du ein Teil, ein Stück bist von einem ewigen, unendlichen Wesen, eine Seite, eine Modifikation davon, wie es der Pantheismus des Spinoza will. Denn das bliebe dieselbe Unbegreiflichkeit: Welcher Teil, welche Seite bist gerade du, was unterscheidet, objektiv, sie von den anderen? Nein, sondern so unbegreiflich es der gemeinen Vernunft scheint: Du - und ebenso jedes andere bewußte Wesen für sich genommen - bist alles in allem. Darum ist dieses dein Leben, das du lebst, auch nicht ein Stück nur des Weltgeschehens, sondern in einem bestimmten Sinn das ganze. Nur ist dieses Ganze nicht so beschaffen, dass es sich mit einem Blick überschauen läßt. - Das ist es bekanntlich, was die Brahmanen ausdrücken mit der heiligen. mvstischen und doch eigentlich so einfachen und klaren Formel Tat twam asi (das bist du). - Oder auch mit Worten wie: Ich bin im Osten und im Westen, bin unten und bin oben. ich bin diese ganze Welt.
So magst du dich hinwerfen auf die Erde, flach angedrückt an ihren Mutterboden in der gewissen Überzeugung: Du bist eins mit ihr und sie mit dir. Du bist so festgegründet und unverletzlich wie sie, ja tausendmal fester und unverletzlicher. So sicher sie dich morgen verschlingen wird, so sicher wird sie dich neu gebären zu neuem Streben und Leiden. Und nicht bloß dereinst-, jetzt, heute, täglich gebiert sie dich, nicht einmal, sondern tausend- und abertausendmal, wie sie dich täglich tausendmal verschlingt. Denn es ist ewig und immer nur jetzt, dieses eine und selbe Jetzt, die Gegenwart ist das einzige, das nie ein Ende nimmt. Ein (dem handelnden Individuum nur selten bewußtes) Anschaung dieser Wahrheit ist es, was einer jeden sittlich wertvollen Handlung zugrunde liegt. Sie läßt den edlen Menschen für ein als gut erkanntes oder geglaubtes Ziel Leib und Leben nicht aufs Spiel setzen, sondern - in seltenen Fällen - ruhigen Herzens hingeben, auch wo gar keine Aussicht auf Rettung seiner Person besteht. Sie leitet - vielleicht noch seltener die Hand des Wohltäters, der ohne Hoffnung auf jenseitige Belohnung zur Linderung fremden Leids das hingibt, was er selbst nicht ohne Leid entbehren wird.
5 C. G. JUNG
„Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten“
Zweiter Teil: Die Individuation
III. Die Technik der Unterscheidung zwischen dem Ich und dem Unbewußten
....Es muß allerdings anerkannt werden, dass man nichts schwerer erträgt als sich selbst. („Du suchtest die schwerste Last, da fändest du dich“. NIETZSCHE.) Aber auch diese schwerste Leistung wird möglich, wenn man sich von den unbewußten Inhalten unterscheiden kann. Der Introvertierte entdeckt diese Inhalte in sich selber, der Extravertierte aber als Projektion im menschlichen Objekt. In beiden Fällen bewirken die unbewußten Inhalte verblendende Illusionen, die uns selber und unsere Beziehungen zum Mitmenschen verfälschen und unwirklich machen. Aus diesen Gründen ist die Individuation für gewisse Menschen unerläßlich, nicht nur als eine therapeutische Notwendigkeit, sondern als ein hohes Ideal, eine Idee vom Besten, das man tun kann. Ich darf nicht unterlassen zu bemerken, dass es zugleich das urchristliche Ideal ist vom Reich Gottes, das „inwendig in Euch ist“. Die diesem Ideal zugrundeliegende Idee ist, dass aus rechter Gesinnung das rechte Handeln hervorgehe, und dass es keine Heilung und keine Weltverbesserung gibt, die nicht beim Individuum selber angefangen hat. Wer selber ein Armenhäusler ist oder auf Pump lebt, wird die soziale Frage nie lösen - um es drastisch zu sagen.
IV. Die Mana-Persönlichkeit
...So führt uns die Auflösung der Mana-Persönlichkeit durch die Bewußtmachung ihrer Inhalte natürlicherweise zu uns selbst zurück als einem seienden und lebenden Etwas, das zwischen zwei Weltbildern und ihren nur dunkel geahnten. aber um so deutlicher empfundenen Kräften eingespannt ist. Dieses „Etwas“ ist uns fremd und doch so nah, ganz uns selber und uns doch unerkennbar, ein virtueller Mittelpunkt von solch geheimnisvoller Konstitution, dass es alles fordern kann, Verwandtschaft mit Tieren und mit Göttern, mit Kristallen und Sternen, ohne uns in Verwunderung zu versetzen, ja ohne unsere Mißbilligung 2u erregen. Dieses Etwas fordert auch all das, und wir haben nichts in Händen, das wir billigerweise dieser Forderung entgegensetzen könnten, und es ist sogar heilsam, diese Stimme zu hören.
Ich habe diesen Mittelpunkt als das Selbst bezeichnet. Intellektuell ist das Selbst nichts als ein psychologischer Begriff, eine Konstruktion, welche eine uns unerkennbare Wesenheit ausdrücken soll, die wir als solche nicht erfassen können, denn sie übersteigt unser Fassungsvermögen, wie schon aus ihrer Definition hervorgeht. Sie könnte ebensowohl als „der Gott in uns“ bezeichnet werden. Die Anfänge unseres ganzen seelischen Lebens scheinen unentwirrbar aus diesem Punkte zu entspringen, und alle höchsten und letzten Ziele scheinen auf ihn hinzulaufen. Dieses Paradoxon ist unausweichlich, wie immer, wenn wir etwas zu kennzeichnen versuchen, was jenseits des Vermögens unseres Verstandes liegt.
Ich hoffe, es sei dem aufmerksamen Leser hinlänglich klar geworden, dass das Selbst mit dem Ich genau soviel zu tun hat wie die Sonne mit der Erde. Die beiden können nicht verwechselt werden. Ebensowenig handelt es sich um eine Vergottung des Menschen oder um eine Herabsetzung Gottes. Was jenseits unseres menschlichen Verstandes liegt, ist für diesen sowieso unerreichbar. Wenn wir daher den Begriff eines Gottes gebrauchen, so formulieren wir damit einfach eine bestimmte, psychologische Tatsache, nämlich die Unabhängigkeit und Übermacht gewisser psychischer Inhalte, die in ihrer Fähigkeit, den Willen zu durchkreuzen, das Bewußtsein zu obsedieren und die Stimmungen und Handlungen zu beeinflussen, sich ausdrückt. ...
Mit der Empfindung des Selbst als etwas Irrationalem, undefinierbar Seiendem, dem das Ich nicht entgegensteht und nicht unterworfen ist, sondern anhängt, und um welches es gewissermaßen rotiert, wie die Erde um die Sonne, ist das Ziel der Individuation erreicht. Ich gebrauche das Wort „Empfindung“, um damit den Wahrnehmungscharakter der Beziehung von Ich und Selbst zu kennzeichnen. In dieser Beziehung ist nichts Erkennbares, denn wir vermögen über Inhalte des Selbst nichts auszusagen. Das Ich ist der einzige Inhalt des Selbst, den wir kennen. Das individuierte Ich empfindet sich als Objekt eines unbekannten und übergeordneten Subjektes. Mir scheint, als ob die psychologische Konstatierung hier zu ihrem äußersten Ende käme, denn die Idee eines Selbst ist an und für sich bereits ein transzendentes Postulat, das sich zwar psychologisch rechtfertigen, aber wissenschaftlich nicht beweisen läßt. Der Schritt über die Wissenschaft hinaus ist ein unbedingtes Erfordernis der hier geschilderten psychologischen Entwicklung, denn ohne dieses Postulat wüßte ich die empirisch stattfindenden, psychischen Prozesse nicht genügend zu formulieren. Das Selbst bean-, sprucht daher zum mindesten den Wert einer Hypothese, entsprechend der der Atomstruktur. Und - sollten wir auch hier noch in einem Bilde eingeschlossen sein - so ist es etwas übermächtig Lebendiges, dessen Deutung jedenfalls meinen Möglichkeiten nicht gelingt. Ich zweifle auch gar nicht, dass es ein Bild ist, aber eines, in dem wir noch enthalten sind.
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