zusammengefasst nach A. Alston: A Shankara Sourcebook in 6 Volumes, London, Shanti Sadan, 2004
Das Absolute ist bereits in einer allgemeinen Weise bekannt
Shankara betrachtete die höchsten Texte der Upanishaden, durch die Wahrheit letztendlich vermittelt wird, als negativ in ihrem Wesen. Das gesprochene Wort kann keine Idee des Absoluten geben und würde es in die Welt der Objekte herabholen, wenn es das könnte.
Alle Unterschiede innerhalb der Dualität sind Überlagerungen des Selbst. es gibt keine Regel, nach der sich Überlagerungen lediglich auf das beziehen können, was als Objekt bekannt ist. Sie können sich ebenso ereignen, wenn das, was Überlagerung erfährt, nicht klar bekannt ist. Auch über ein nur unklar wahrgenommenes Seil kann die Wahrnehmung das Bild einer Schlange projizieren.
Mit dem Selbst ist es ähnlich. Wir haben das konstante Gefühl des „Ich bin“ und über diese durchgängige jedoch vage und allgemeine Wahrnehmung legen wir eine Vielfalt von wechselseitig sich widersprechenden Gedanken. Wir fühlen „Ich bin glücklich, traurig, verwirrt, alt, jung usw.“ All diesen Erfahrungen ist das „Ich“ gemeinsam.
Der Sinn der upanishadischen Aussagen ist daher nicht, jemanden mit dem eigenen Selbst bekannt zu machen, sondern die falschen Wahrnehmungen wie „glücklich, traurig, verwirrt usw.“ zu beseitigen, mit denen wir das Selbst überlagern.
Hierzu sind positive Anstrengungen nötig. Aber diese Anstrengungen werden nur gemacht, um die Hindernisse gegen eine Erkenntnis der wahren Natur des Selbst zu beseitigen. Obwohl das Selbst allen unmittelbar evident ist, benötigen wir trotzdem die Texte der Upanishaden in Verbindung mit rationaler Erforschung ihrer Bedeutung unter Anleitung eines Lehrers, wenn wir zu seiner wahren Natur aufzuwachen wollen. Gleichwohl ist das Selbst permanent und konstant und hat die Eigenschaft einer sich selbst-bestätigenden Wesenheit. Als solche ist sie kein Objekt der Negation.
„Aber einige Personen, die sich selber für sehr weise halten, sagen, der Intellekt könne das Selbst nicht erreichen, weil letzteres formlos ist, so dass die Vollendung des Wissens schwer zu erreichen ist. Wahrhaftig, es ist schwierig für diejenigen, die keinen Lehrer haben und keiner Tradition angehören, nicht die upanishadischen Texte in der traditionell vorgeschriebenen Weise gehört haben, deren Geist tief an äußeren Objekten hängt und die den rechten Pfad nicht mit Sorgfalt verfolgt haben….
Es folgt daher, dass es ausschließlich der Stillstand jeglicher Wahrnehmung von auf äußeren Formen basierenden Unterschieden im Geist ist, der zur wahren Kenntnis des Selbst führt. Denn das Selbst ist niemals zu irgendeiner Zeit irgend jemandem vollständig unbekannt, und ebenso ist es weder von Annahme noch von Zurückweisung abhängig…. Daher, ebenso wenig wie spezielle Mittel zu seiner Kenntnis erforderlich sind, um seinen eigenen Körper wahrzunehmen (aufgrund seiner unmittelbar gegebenen Nähe), so sind keine erforderlich, um das Selbst zur Kenntnis zu nehmen, welches das innerste Prinzip von allem ist.
Daher gilt es als bewiesen, dass für jene, die Unterscheidung praktizieren, die Etablierung des Selbst eine bereits vollzogene Tatsache darstellt.“ (Bhagavad Gita bhasya XVIII.50)
Das Absolute wird nicht als Objekt erkannt
Es ist unsere gewöhnliche Erfahrung, dass wir das Selbst zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich erfahren, zum Beispiel traurig, fröhlich, müde usw. entsprechend dem Zustand von Körper und / oder Geist. Dagegen erweist sich das Selbst ebenfalls – im Widerspruch zu den aufeinander folgenden Zustandswechseln – als allzeit identisch. Abseits der unmittelbaren unreflektierten Wahrnehmung stehen dem Menschen jedoch zwei weitere Erkenntnismittel offen in seiner Suche nach dem wahren Selbst. Diese sind die offenbarte Lehre (sruti, agama) und kritische Reflektion (vicara).
Die hier auftauchende Frage ist, ob überhaupt irgendein Erkenntnismittel das Selbst enthüllen kann, da dies bedeuten würde, das Selbst zum Objekt für ein erkennendes Subjekt zu machen. Du kannst etwas solange nicht als Objekt erkennen, bis Du nicht getrennt von ihm bist und es Dir gegenüber steht als ein erkenntnisbereites Objekt. Vedische Offenbarung und kritische Reflektion in Anwendung auf das Selbst sind daher ihrem Wesen nach primär negativ. Sie erreichen kein bestimmbares Wissen des Selbst als sei dies ein Objekt: Ihre Funktion ist es eher, das zu negieren, was die Selbst-Manifestation des Selbst in seiner wahren Form als unendliches Bewusstsein verhindert. Das Selbst ist also in seiner wahren Natur den natürlichen Fähigkeiten nicht unmittelbar zugänglich und kann nur durch vedische Offenbarung erkannt werden, während letztere in ihrem Wesen grundsätzlich negativ ist.
„Das Selbst unterliegt nicht der Bestimmung durch irgendein anderes Erkenntnismittel als durch den traditionell interpretierten Veda. Andere Dinge unterliegen der Bestimmung durch die empirischen Erkenntnismittel wie Wahrnehmung und Schlussfolgerung, die in einer säkularen Art und Weise unabhängig von vedischer Offenbarung durchgeführt werden. Aber das metaphysische Prinzip unterliegt keiner Bestimmung durch die in dieser Art angewandten empirischen Erkenntnismittel. Der Veda verneint, dass irgendeine Aktivität auf Seiten des aktiv Erkennenden oder irgendein empirisches Erkenntnismittel auf das Selbst angewandt werden könnte, in solchen Passagen wie ‚Wenn alles das eigene Selbst geworden ist, wodurch könnte man was sehen ?’ Und diese Verneinung selbst ist die dem Veda eigentümliche Methode, Kenntnis des Selbst zu vermitteln. … Des weiteren bedeutet Kenntnis des Selbst lediglich, aufzuhören, es mit dem zu identifizieren, was es nicht ist. Man braucht keine spezielle Intuition zu vollziehen, um zu realisieren, dass man das Selbst ist, da man bereits von Natur aus mit dem Selbst identisch ist.“ (Brhadaranyaka Upanishad II.iv.14; Brhadaranyaka Upanishad bhasya IV.iv.20)
Der Pfad der Verneinung
Klassische Theologen der Christenheit haben erkannt, dass das begrenzte Verstehen die Option mehrerer verschiedener Pfade hat, wenn es sich dem Unendlichen annähert, und diese Pfade haben eine gewisse Familienähnlichkeit mit jenen, die im Advaita Vedanta verfolgt werden. Die tiefste Kenntnis Gottes ist jene, die die äußerste Unangemessenheit aller begrenzten Konzepte erkennt und diese kann ausschließlich durch die „Via negationis“ erreicht werden, durch den Pfad der Verneinung alles Endlichen. Aber lediglich einige wenige mutige Seelen sind in der Lage, sich mit der Trockenheit dieses Weges von Anfang an zu konfrontieren und für devotionale Geister scheint die „Via eminentiae“ angemessener, der Weg, auf dem lobenswerte Eigenschaften, die in den Bereich menschlichen Fassungsvermögens fallen, der Gottheit positiv zugeschrieben werden, allerdings mit der klaren Erkenntnis, dass diese lediglich unvollkommene Hinweise auf Seine Natur sind, da Er endliches Verstehen transzendiert. Auf dem dritten Pfad, der „Via Causalitatis“, berührt der Geist die verschiedenen kausalen Prinzipien, die er als in der Welt operierend erfassen kann und versucht, durch Spekulation dieser Art zu einer gewissen Vorstellung der Gottheit als einem ersten Grund zu kommen, und doch als das, was unter jedem kausalen Prinzip liegt, das bestimmungsmäßig erfaßt werden kann und von dem her alle solche Prinzipien als Wirkungen ausgehen. Entsprechend einem vierten Weg wird versucht, die Gottheit als das innerhalb des menschlichen Intellekts gegenwärtige Licht wahrzunehmen. Nach einem fünften Pfad versucht der Geist von Dingen, die als einzelnes Ziel gut und wünschenswert sind, zu dem aufzusteigen, was selbst das höchste Ziel darstellt, das jenseits aller einzelnen Ziele liegt und das um seiner selbst willen wünschenswert ist, der höchste Wert und das erhabenste Gut.
Zwar nicht Identisches aber doch Ähnliches kann man in Shankaras Texten finden. Für Shankara bestand upanishadische Weisheit jedoch im wesentlichen in Negation. Das Absolute kann nicht durch Sprache beschrieben werden und Verneinung ist der fundamentale Prozess, der zu „viveka“ oder Unterscheidung der wahren Natur des Selbst von dem, womit es fälschlicherweise überlagert ist, als höchstes Ziel der Advaita Disziplin. Die Texte der Upanishaden sind nicht ausschließlich verneinend. Die verschiedenen positiven Darstellungen des Absoluten stellen aber lediglich Annäherungen dar, die die Funktion haben, es sozusagen in die Welt des Diskurses herunterzubringen, so dass der Student eine gewisse Vorstellung davon erlangen kann, die im Licht nachfolgender Negationen korrigiert werden kann. Die Art des Lehrens besteht also darin, falsche Attributionen zu schaffen, die nachfolgend verneint werden.
Die Upanishaden lehren unzweifelhaft, dass das Absolute bar jeder Unterscheidungen ist, alldurchdringend, das Selbst von allem und sich immer als das eigene wahre Selbst bestätigend. Gleichwohl gibt es in den Upanishaden Passagen wie „der Kenner des Absoluten erreicht das Erhabene“, die vom Absoluten sprechen, als sei es etwas, das „erlangt“ oder „erreicht“ werden soll. Es ist klar, dass der Text hier seine Lehren an die ignorante Perspektive des Schülers anpasst. Aber seine Funktion, dies sei noch einmal wiederholt, ist letztlich negativ. Seine Stärke liegt nicht darin, zu lehren, dass das Absolute überhaupt erreicht werden soll. Es hat die negative Stärke, zu zeigen, dass angesichts der ignoranten Sicht des Schülers, aus der heraus es etwas „zu Erreichendes“ sei, es durch nichts anderes als Wissen („knowledge“) „erreicht“ werde, wobei nicht jene Art des „Erreichens“ gemeint ist, die Bewegung beinhaltet.
In einigen Passagen wird das Selbst als „der Wissende“ bezeichnet. Damit soll das Selbst nicht zum Handelnden in Wahrnehmungsakten gemacht, sondern lediglich verneint werden, dass das Selbst selber Objekt eines Aktes der Erkenntnis oder des Wissens sei.
Andere Passagen sagen, das Selbst sei ein bloßer Zeuge. Die Stärke dieser Passagen ist nicht die Affirmation des Selbst als eines „Zeugen“ als letztes wahres Faktum, denn letztendlich gibt es für das Selbst nichts anderes, dessen es Zeuge sein könnte. Die Absicht solcher Passagen ist, auf die Inaktivität des Selbst hinzuweisen und den Gedanken zu korrigieren, dass es ein Handelndes in einem Akt empirischer Erkenntnis sein könnte.
Der bloße Satz „nicht dies, nicht dies“ (neti neti) verneint alle einzelnen äußeren Attribute. Das Absolute ist dasjenige, welches ohne Einzelheiten ist. Da ist kein Name, keine Form, keine Handlung, kein Unterschied, keine Gattung, keine Qualität. Ausschließlich diese Bestimmungen sind es, durch die Sprache stattfindet, und keins davon gehört dem Absoluten an. Daher kann letzteres nicht durch Sätze nach dem Muster „Dies ist so-und-so“ gelehrt werden. In solchen upanishadischen Sätzen und Worten wie „das Absolute ist Bewusstsein-Seligkeit“, „Reines Bewusstsein“, „Brahman“, „Atman“, bedient man sich mithilfe der Überlagerung des Absoluten mit Name, Form und Aktion eines Kunstgriffes, und das Absolute wird in exakt derselben Weise besprochen, mit der wir uns auf Objekte der Wahrnehmung beziehen. Aber wenn der Wunsch besteht, die wahre Natur des Absoluten auszudrücken, bar aller äußeren Attribute und Einzelheiten, dann kann es nicht durch irgendwelche positiven Mittel gleich welcher Art beschrieben werden. Die einzig mögliche Prozedur besteht dann darin, sich darauf durch eine umfassende Verneinung jeglicher positiver Chrakteristiken, die man ihm in früheren Lehren zugeschrieben hat, zu beziehen und zu sagen: „Nicht dies, nicht dies.“ (Brhadaranyaka Upanishad bhasya, 2, iii, 6).
„Es kann auch kein exakter Bezug zum Absoluten durch solche Begriffe wie ‚Sein’ oder ‚Nicht-Sein’ hergestellt werden. Alle Worte werden benutzt, um eine Bedeutung zu übermitteln und wenn sie von ihren Hörern gehört werden, transportieren sie die Bedeutung, die der Sprecher beabsichtigte. Aber kommunizierbare Bedeutung ist ohne Ausnahme auf Genus, Aktion, Qualität und Relation beschränkt….Aber das Absolute gehört keinem Genus an, kann daher nicht durch ein Substantiv wie ‚Sein’ oder ‚Nicht-Sein’ ausgedrückt werden. Da es ohne Qualitäten ist, kann es nicht durch irgendein Adjektiv beschrieben werden, das eine Qualität bezeichnet. Da es ohne Aktion ist, kann es nicht durch irgendein Verb ausgedrückt werden, das Aktivität bezeichnet. Denn die Upanishaden sprechen von ihm als ‚ohne Teile, ohne Aktivität, in Ruhe’. (Svetasvara Upanishad VI, 19) Noch hat es irgendeine Beziehung mit irgend etwas. Denn es ist ‚eines’, ‚ohne ein zweites’, ‚nicht Objekt’ und ‚das Selbst’. Von daher kann es nicht durch irgendein Wort ausgedrückt werden. Und die upanishadischen Texte selbst bekräftigen dies, wenn sie sagen ‚das, vor dem Worte zurückweichen’. (Brhadaranyaka II, iii, 6; Taittiriya Upanishad II, 4; Bhagavad Gita bhasya XII, 12).”
“Man kann keine der beiden Seiten irgendeines Paares alternativer Möglichkeiten über das wahre Wesen von allem annehmen, welches jenseits aller Sprache und Konvention liegt und weder sagen, dass es ist, noch dass es nicht ist, weder dass es eines, noch dass es viele sei, weder dass es Qualitäten besitze, noch dass es qualitätslos sei, weder dass es Wissen habe, noch dass es ohne Wissen sei, weder dass es agiert, noch dass es nicht agiert, weder dass es Resultate produziert, noch dass es sie nicht produziert, weder dass es die Keime zukünftiger Handlungen enthält, noch dass es sie nicht enthält, weder dass es glücklich sei, noch dass es nicht glücklich sei, weder dass es zentral sei, noch dass es nicht zentral sei, weder dass es Leere sei, noch dass es keine Leere sei, weder dass es sich von mir unterschiede, noch dass ich mich von ihm unterschiede. Wer auch immer die Natur des Selbst auf diese Weise charakterisieren möchte, ist wie jemand, der den Himmel wie ein Stück Leder aufrollen möchte, um dann darauf zu steigen, als wäre es eine Stufe.” (Brhadaranyaka II, iii, 6; Taittiriya Upanishad II, 4; Rig Veda III, 54, 5)
„Nicht dies, nicht dies”: „Der Veda erwähnt diese zwei Formen des Absoluten (die mit seinen grob- und feinstofflichen Attributen verbunden sind) nicht zum Zwecke der Affirmation. Im Gegenteil greift er diese beiden imaginierten Formen des Absoluten auf, von denen man allgemein annimmt, dass sie existieren, mit dem Blick darauf, sie zu verneinen und die ausschließliche Existenz des Absoluten in seiner reinen und wahren Form zu bestätigen. Es werden zwei Verneinungen (nicht dies, nicht dies) gezählt, die die zwei Formen des Absoluten seriell negieren, nämlich die grobstoffliche und die feinstoffliche, diese ebenfalls der Zahl nach zwei. Oder die erste Verneinung negiert die groben Elemente und die zweite ihre subtilen Eindrücke. Oder in dem Ausdruck ‚nicht dies, nicht dies’ deckt der wiederholte Begriff ‚dies’ (iti) alle Möglichkeiten ab, so dass der Satz als ganzes bedeutet, ‚Was auch immer man vom Absoluten denkt, dass es sei, das ist es nicht.’ …Wenn die Verneinung alle Möglichkeiten abdeckt, dann folgt, da ja alle Objekte kollektiv negiert wurden, dass das Absolute das sein muss, was kein Objekt ist, das heißt, das innerste Selbst und alle weitere Erforschung wird zum Schweigen gebracht. Das Ergebnis ist, dass der Text die gesamte weltliche Erscheinung verneint, die man sich im Absoluten vorstellte und damit das Absolute als letzten Rest übrig lässt. Und der Text bestätigt dies, weil er nach der Verneinung fort fährt, positiv zu bestätigen ‚Es gibt etwas höheres als dies.’ Wenn nämlich eine vollständige Negation mit der Implikation der Nicht-Existenz von jeglichem beabsichtigt gewesen wäre, wie dann hätte der Text weiter fortfahren können, um von ‚etwas höherem als dies’ zu sprechen?“ (Brahma Sutra bhasya III, ii, 22)
„Da das Selbst nicht negiert werden kann, ist es das, was übrig bleibt nach dem Praktizieren des Sagens von ‚nicht dies, nicht dies’ gegenüber allem anderen. Im Gegensatz dazu entsteht die Ego-Vorstellung aus der Vorstellung, dass das Selbst ein ‚dies’ sei. Es fällt damit in den Bereich der sprachlichen Aktivität. Nachdem die Vorstellung, das Selbst sei ein ‚dies’, erst einmal negiert wurde, kann die Ego-Vorstellung niemals wieder als authentisch akzeptiert werden, da sie von der vorhergehenden Vorstellung abhängt, das Selbst sei ein ‚dies’.“ (Upadesha Sahasri II, 1-3)
„Das Wissen, durch das dies unzerstörbare Prinzip erkannt wird, wird als erhabenes Wissen (para vidya, ‚supreme knowledge’) bezeichnet.“ (Mundaka Upanishad I, i, 6)
Den Geist transzendieren
Wie wird das Selbst letztlich erkannt ? Nach Shankara muss die wahre Natur des Selbst dem Geist mit seiner Fähigkeit zu denken ein ewiges Geheimnis bleiben, da er mit dieser Fähigkeit das Reich des Subjekt-Objekt-Dualismus bewohnt, welchen das Selbst transzendiert. Subjektiver Idealismus ist – obwohl in einigen Texten Shankaras präsent – nicht repräsentativ für seine grundsätzliche Position. Wohl jedoch die Lehre, dass es möglich ist, die Identifikation mit dem Geist zu überschreiten und über die Subjekt-Objekt-Erfahrung hinauszugehen. Diese Transzendenz ist nicht abhängig oder beeinflusst von irgendeinem der vorübergehenden Zustände des Geistes, wie der intensiven Form der Konzentration, die in einigen Formen yogischer Praxis erreicht wird (samadhi), oder der Auflösung des Geistes in traumlosem Schlaf. Das Selbst, die letztendliche Quelle unseres Seins und Wissens, steht über dem Geist und erleuchtet ihn mit seinem Licht. Der erleuchtete Weise geht schließlich über alle Erkenntnis hinaus, selbst über die Vorstellung des im Geist wie in einem Spiegel reflektierten Selbst und über das Gefühl hinaus „Ich bin ein Kenner des Absoluten“.
Es ist nicht so, dass der Weise irgend eine Veränderung seiner Natur erfährt, nachdem er Erleuchtung „erreicht“. Es ist einfach so, dass ihn – wenn sein Ohr sich durch die spirituelle Disziplin eingestellt hat, die ihm von Meister vermittelt wurde – die erhabenen metaphysischen Texte des Veda an seine eigene wahre Natur erinnern. Er hört dann auf, in seiner Suche nach dem Selbst die Objekte der Welt aufzuzählen, genauso wie ein Dorfbewohner, der die zehn Leute seiner Gruppe zählen sollte, nachdem sie soeben einen Fluss überquert haben, mit dem fruchtlosen Abzählen seiner neun Genossen aufhört, nachdem ihn ein freundlicher Zuschauer erinnert „Du bist der Zehnte“. Das Selbst ist all-präsent, allzeit-im-Sein, allzeit realisiert.
„Eine illusionäre Schlange, wahrgenommen in einem Seil, stellt sich in Wahrheit heraus wenn es in seiner wahren Form als Seil wahrgenommen wird. In gleicher Weise enthüllt sich die Wahrheit des Geistes, wenn er in seiner wahren Natur als das Selbst – das seinem Wesen nach reines Wissen ist – wahrgenommen wird…. Es ist bestätigt worden, dass es tatsächlich der Geist ist, der die Form der Dualität annimmt, er selbst eine bloße Vorstellung wie ein Seil, in dem man eine Schlange sieht. Was ist der Beweis dessen ? Der Weise Gaudapada antwortet, dass es eine Schlußfolgerung ist, die auf der Methode von Bejahung und Unterschied basiert und fährt mit seiner Analyse folgendermaßen fort:
Die zu beweisende Aussage ist: ‚Diese gesamte Dualität, die vom vorgestellten Geist wahrgenommen wird, ist selber nichts als Geist.’ Das nächstfolgende Argument sagt, dass, wenn der Geist präsent ist, Dualität ebenfalls präsent ist und wenn der Geist nicht präsent ist, Dualität nicht präsent ist. Denn Dualität wird nicht wahrgenommen, wenn der Geist den technisch als „Nicht-Geist“ („no-mind“) bekannten Zustand erreicht hat, das heißt, wenn seine Bewegungen durch die Praxis unterscheidender Einsicht und Gelassenheit (Leidenschaftslosigkeit) unterdrückt wurden. Ebensowenig wird Dualität wahrgenommen, wenn der Geist sich in traumlosem Schlaf auflöste, wie die Schlange, die sich im Seil auflöste. Daraus schließen wir, dass Dualität nicht real ist.
Und wie ist dieser als „Nicht-Geist“ bezeichnete Zustand zu erreichen ? Der Weise Gaudapada erklärt es folgendermaßen: Nur das Selbst ist real, in derselben Weise, wie nur der Ton (clay) real ist und nicht seine Wirkungen (Tontöpfe, Gefäße aus Ton, etc.), wie der vedische Text zeigt: ‚ Eine Modifikation ist ein bloßer Name, eine bloße Aktivität der Sprache: Die Wahrheit ist, es gibt nur Ton.’ Zu dieser Erkenntnis durch den Veda und den Lehrer zu erwachen bedeutet zur Realität der Seele zu erwachen….Wenn dies passiert ist, ist jemand in dem Zustand, den man ‚Nicht-Geist’ nennt. Und weil es dort dann nichts wahrzunehmen gibt, nimmt sein Geist nichts wahr und ist ohne jenen imaginären Prozess, den man als Wahrnehmung bezeichnet.“ (Brhadaranyaka III.ix.28.7; Taittiriya II.1)
„Was auch immer irgendwo zu irgendeiner Zeit, in irgendeinem Intellekt gesehen wird, wird von (dem wahren ‚Ich’, immer präsent in) mir gesehen. Deshalb bin ich das Absolute, das Erhabene, allwissend und omnipräsent. Wie ich der eine Zeuge der Aktivitäten meines eigenen Geistes bin, so bin ich derselbe eine Zeuge der geistigen Aktivitäten anderer. Ich bin weder Wachstum noch Abnahme unterworfen. Deshalb bin ich das Erhabene.
Das Selbst unterliegt keiner Veränderung, weder ist es unrein noch materiell. Da es der Zeuge aller geistigen Aktivitäten überall ist, ist es nicht begrenzten Wissens wie der Geist.
Objekte existieren im Geist, jedoch nur, wenn der Geist sich im manifestierten Zustand befindet. Aber der Zeuge bleibt immer Zeuge. Das beweist, dass Dualität nicht existiert.“ (Gaudapada Karika bhasya III. 29 - 33)
„Nachdem der Text zuerst beinhaltete, dass es überhaupt keinen Weg gibt, das Absolute zu lehren, geht er nun dazu über, zu zeigen, dass dies nicht tatsächlich der Fall ist. Die Bedeutung der Texte, die das Absolute als Licht Reinen Bewusstseins, bar jeder Einzelheit und das Selbst von allem bekräftigen, muss einem von einem Lehrer (acarya) beigebracht werden, der einer traditionellen Linie angehört und nicht durch eigenes (unabhängiges) logisches Denken, auch wenn es durch Kultur, Intelligenz, breites Lernen, Enthaltsamkeit, Opfer und irgendwelche anderen Hilfsmittel unterstützt wird.“ (Kena Upanishad pada bhasya I. 3, 4)
© 2022 Anke Beumann