Stress, burnout und TM

Der wissenschaftliche Ertrag zum Burnout ist bislang nicht allzu groß. Dies läßt sich recht gut an den Arbeiten von Dirk Enzmann „Gestreßt, erschöpft oder ausgebrannt ?“ und Burisch „Das Burnout-Syndrom“ demonstrieren.

Enzmann rekapituliert in seiner Arbeit aus dem Jahre 1996 zunächst den Stand der Burnout-Forschung und die beiden konkurrierenden Burnout-Theorien:

„....Angestrebt wird, zwei zentrale, in der Burnout-Forschung oftmals verwandte Konzepte (Cherniss vs Maslach) kontrastierend gegenüberzustellen, sie empirisch gestützt vergleichend zu analysieren, um zwischen ihnen gegebenenfalls entscheiden bzw. sie in ein Gesamtkonzept integrieren zu können. Während im Modell von Cherniss, das sich an klassischen streßtheoretischen Ansätzen orientiert, die entscheidenden situativen Burnoutdeterminanten arbeits- und organisationsbezogene Stressoren sind, nimmt das Modell von Maslach an, dass Burnout in erster Linie eine Folge klientenbezogener Stressoren ist. Entscheidendes Personenmerkmal ist dem Modell von Cherniss zufolge Coping (Burnout ist im Kern eine Variante ,,defensiven Copings”), während im Modell von Maslach die Art empathischer Reaktionen ein wichtiger individuenspezifischer Faktor ist. Enzmann untersucht deshalb zusätzlich die Einflüsse von Coping und Empathie auf den Streß-Burnout-Zusammenhang....“

„.......Die einflußreichste Definition, die mittlerweile den meisten empinschen Arbeiten zum Thema Burnout zugrunde liegt und von der auch hier im folgenden ausgegangen werden soll, wurde von Maslach & Jackson formuliert. Ihr liegt die Entwicklung des Maslach-Burnout-Inventory (MBI) (Maslach & Jackson, 1981, 1986) zugrunde - ein Instrument, mit dem Burnout als ein multiples Syndrom von emotionaler Erschöpfung,  verringertem persönlichem Wirksamkeitserleben und Depersonalisierung operationalisiert wird......“

„Die Person im Burnoutprozeß

Die Personenmerkmale, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, sind Coping und Empathie. ‚Personenmerkmal’ wird hier als übergreifender Begriff zur Bezeichnung von Variablen benutzt, die in Abgrenzung von Merkmalen der Situation eine individuelle Person beschreiben können. Dazu gehören soziologische und biologische Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Berufsausbildung, des weiteren auch psychologische wie Coping, da hiermit Verhaltensweisen beschrieben werden, mit der eine Person individuell auf eine äußere Situationen reagiert. Zu Personenmerkmalen gehören aber auch Persönlichkeitsmerkmale im engeren Sinn, die als relativ stabile, psychische Eigenschaften der Person aufgefaßt werden, die nicht unmittelbar und direkt durch situative Bedingungen beeinflußt werden. Zunächst wird hier davon ausgegangen, dass Coping im Gegensatz zu Empathie nur ein Personenmerkmal ist, also ein stärker von situativen Bedingungen abhängiges Merkmal der Person, wohingegen Empathie konzeptuell als eine relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft aufgefaßt wird.

Die Bedeutung von Coping

Die Möglichkeiten und Formen der Streßbewältigung werden in nahezu allen Streßkonzepten (biologischen, psychosomatischen, psychologischen/ interaktionszentrierten und auch in der Life-Event-Forschung) als wichtige, den Streßzustand oder langfristige Streßfolgen beeinflussende Variablen berücksichtigt; im transaktionalen Streßkonzept von Lazarus und Mitarbeitern haben Copingprozesse einen zentralen Stellenwert. Auch im Burnoutkonzept spielen individuelle Möglichkeiten und Formen der Streßbewältigung eine wichtige Rolle: Unter anderem stellt im theoretischen Burnoutmodell von Cherniss defensives Coping den Kern des Burnoutprozesses dar, Maslach zufolge ist der spezifische Burnoutaspekt „Depersonalisierung“ ein Ausdruck für Versuche, emotional beanspruchende Kontakte mit den Klienten durch inneren oder äußeren Rückzug und Veränderung der Einstellung gegenüber den Klienten zu reduzieren - Dehumanisierung dient hier der Selbstverteidigung und der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit in Interaktionen, die sich durch starke Stimulation emotionaler Erregung auszeichnen. Aus dieser Perspektive könnte Depersonalisierung selbst als Copingreaktion angesehen werden. Wenn allerdings Coping ein distinktes Konzept darstellen soll, macht es keinen Sinn, alles, was schon allein die Funktion hat, Streßempfindungen zu reduzieren, als Coping zu bezeichnen. Denn dann könnten auch z.B. Erschöpfungsgefühle, Gefühle mangelnder Kompetenz, Depressivität oder psychosomatische Beschwerden (sofern diese Phänomene durch Streß hervorgerufen wurden) als Coping bezeichnet werden: Erschöpfung hätte die Funktion, die Notwendigkeit von Erholung und dementsprechend die Notwendigkeit eines zeitweiligen Tätigkeitswechsel zu signalisieren oder ihn zu erzwingen, Gefühle mangelnder Kompetenz könnten die Modifizierung nicht realisierbarer Ziele bewirken, Depressivität würde vor vergeblichen Bemühungen, subjektiv als nicht bewältigbar erscheinende Situationen zu beeinflussen, schützen, und psychosomatische Beschwerden hätten ähnlich wie Erschöpfung die Funktion, psychisch oder somatisch schädliche Aktivitäten zu reduzieren bzw. es zu erzwingen, schädigende Situationen zu verlassen. Neben der Frage, welche Rolle Coping für die Entwicklung von Burnout spielt, ist also insbesondere zu klären, ob Depersonalisierung unter den Begriff des coping subsummiert werden kann. Hierzu soll zunächst auf den Copingbegriff selbst und die theoretischen Annahmen zur Wirkung von Coping im Streßgeschehen eingegangen werden.“

Enzmann geht dann auf das transaktionale Modell von Lazarus ein, in welchem dem kognitiven Bewertungsprozess des gestressten Individuums eine entscheidende Rolle zufällt:

„Das von Lazarus und seinen Mitarbeitern entwickelte transaktionale Modell stellt die in der arbeitspsychologischen Streßforschung einflußreichste psychologische Streßkonzeption dar, an die auch in der Burnoutforschung häufig angeknüpft wird (vgl. Cherniss, 1980; Enzmann & Kleiber, 1989). Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass verschiedene Personen (oder auch eine Person zu verschiedenen Zeitpunkten) in gleichartigen Situationen nicht die gleichen Streßzustände erleben und dass gleichartige Streßzustände von sehr unterschiedlichen Stressoren hervorgerufen werden können. Um die Beziehungsregeln zwischen Reiz und Reaktion zu spezifizieren, die das Auftreten von Streßphänomenen bestimmen, wird ,,Streß" als ,,... Beziehungs- oder transaktionales Konzept behandelt, das bestimmte Anpassungsprozesse zwischen einem System (z.B. einer Person) und seiner Umwelt beschreibt." (Lazarus & Launier; 1981, S.220) Eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Streßzuständen spielen kognitive Bewertungsprozesse der Person, ,,psychischer Streß" wird dementsprechend definiert als ‚,... a particular relationship between the person and the environment that is appraised by the person as taxing or exceeding his or her resources and endangering bis or her well-being.’ (Lazarus & Folkman, 1984, S.19) Dabei wird die Person-Umwelt Beziehung durch zwei entscheidende Prozesse vermittelt: Kognitive Bewertungen und Coping. Die kognitiven Bewertungsprozesse bestimmen, ob eine bestimmte Transaktion zwischen Person und Umwelt als streßhaft wahrgenommen wird; Coping ist der Prozeß, mit dem ein Individuum die als streßhaft wahrgenommenen Anforderungen der Person-Umwelt Beziehung und die Streßemotionen reguliert, ‚... the way a person appraises an encounter strongly influences the coping processes and how the person reacts emotionally.’“

Enzmann resumiert:

„Burnout wird als ein Syndrom aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung und reduziertem Wirksamkeitserleben aufgefaßt, das häufig in Kontaktberufen beobachtet werden kann. Emotionale Erschöpfung wird dabei als das Leitsymptom des Burnout angesehen. Anhand gängiger Burnoutkonzeptionen lassen sich zwei theoretische Zugänge kontrastierend gegenüberstellen:

a) Burnoutsymptome sind nicht spezifisch für Kontaktberufe, analoge Phänomene können auch in kreativen, insbesondere künstlerischen Berufen, in ähnlicher Form aber auch in allen übrigen Berufen beobachtet werden. So ist die Burnoutdimension ,emotionale Erschöpfung’ im wesentlichen eine Symptom chronischer Ermüdung. Die Burnoutursachen können im Rahmen des allgemeinen transaktionalen Streßkonzeptes verortet werden. Zwar spielen auch tätigkeitsspezifische Stressoren, zu denen auch der Umgang mit Klienten gehört, eine Rolle, der Kern des Burnout kann jedoch letztlich verstanden werden als defensive Bewältigung der Konfrontation mit Stressoren, die sich aus organisationellen Bedingungen der Arbeit ergeben. Arbeitsbezogene Stressoren und Coping sind zentrale Elemente in der Entwicklung von Burnout.

b)  Sowohl die Burnoutsymptome als auch die Burnoutursachen sind spezifisch für Kontaktberufe. So besteht die Besonderheit emotionaler Erschöpfung in einer Verringerung emotionaler Anteilnahme bzw. dem Verlust der Bereitschaft oder Fähigkeit, auf Nöte anderer Personen emotional zu reagieren. Die zentralen Ursachen des Burnout sind andauernder emotional beanspruchender Kontakt mit anderen Menschen bzw. die Intensität emotionaler Erregungen in Helfer-Klienten-Interaktionen und die Anforderungen, die Helfer von Klienten erfahren. Zwar tragen auch allgemeine Arbeitsstressoren zur Entwicklung von Burnout bei, jedoch sind insbesondere klientenbezogene Stressoren für die Entstehung von Burnout verantwortlich, wobei die empathische Reaktion der Helfer eine wichtige Kodeterminante ist.“

Die typischen Probleme der Burnout-Forschung zeigen sich dann deutlicher in der zitierten Meta-Studie von Schaufeli, der „Stress“ stärker mit Merkmalen der Arbeitssituation variieren läßt als mit Persönlichkeitsmerkmalen, nicht, ohne wenig später festzustellen, dass die den Stressor charakterisierenden Begriffe wie „Arbeitsdruck, Rollenambiguität, Rollenkonflikte, Arbeitsstreß“ als vom jeweiligen Individuum subjektiv empfunden operationalisiert wurden – stehen also doch Persönlichkeitsvariablen im Vordergrund ?

Wenig später werden noch Mangel an Autonomie und intensiver Kontakt mit Klienten u. a. genannt, etwas später wird auf Situationsmerkmale wie ‚Organisationstyp Vollzeitarbeit, Zeitmangel, geringe Partizipation, fehlende Rückmeldungen, Mangel an Kontrollmöglichkeiten sowie Führungsstil’ Bezug genommen. Spätestens hier wird deutlich, dass eine entscheidende Variable ausser Betracht bleibt, nämlich die prinzipiell vorhandene (und nicht genutzte) Mobilität des gestressten Individuums, also im Resultat die (vielleicht nicht bewußt getroffene) Entscheidung des Individuums zur Immobilität, das heisst, die Wahl, in der Situation zu bleiben anstatt sie zu verändern oder – falls dies nicht möglich zu sein scheint – zu verlassen. Dies ist zum Teil unter „Mangel an Autonomie“ subsumiert worden, jedoch ist das jeweilige Ausmaß von Mobilität – Immobilität eine bislang unbeachtete, dabei jedoch entscheidende und eigenständige – Persönlichkeitsvariable. Die Situationsmerkmale lassen sich nicht betrachten ohne die Wahlfreiheit des Individuums für Ortsveränderung oder Ortsverbleib, außer natürlich unter Umständen, in denen die freie Ortsbestimmung existentiell eingeschränkt wurde, z.B. im Extrem im Gefängnis oder Lager.

Bestätigt wird dies schließlich durch die Korrelation der beiden Variablen „reduziertes Wirksamkeitserleben“ und „emotionale Erschöpfung“.:

„Situative Bedingungen des Burnout

Abgesehen davon, dass die meisten empirischen Studien zum Zusammenhang von situativen Bedingungen und Burnout Querschnittstudien sind, also streng genommen nur Hinweise liefem auf Faktoren, die mit Burnout zusammenhängen, ohne dass daraus Kausalzusammenhänge abgeleitet werden können, ist eine zusammenfassende Interpretation der Resultate insofern problematisch, als bei der Verwendung des Terminus ,,Streß" häufig nicht deutlich zwischen objektiven Belastungen und subjektiver Beanspruchung unterschieden wird. In einer Zusammenfassung von fast 200 Studien kommt Schaufeli (1990) zu dem Ergebnis, dass Merkmale der Arbeitssituation deutlicher mit Burnout zusammenhängen als biographische Personenmerkmale oder Persönlichkeitsmaße.

Vor allem für Arbeitsdruck, Rollenprobleme wie Rollenambiguität und Rollenkonflikt sowie für global bezeichneten ,,Arbeitsstreß" fanden sich deutliche Hinweise für einen Zusammenhang mit Burnout. Einschränkend muß dazu angemerkt werden, dass sogenannter ,,Arbeitsdruck" und ,,Arbeitsstreß" in der empirischen Literatur überwiegend als subjektive Streßempfindungen operationalisiert werden - ein hoher Zusammenhang mit Burnout ist deshalb nicht besonders erstaunlich. Von den konkreter bezeichneten Arbeitsbedingungen finden sich in der Übersicht von Schaufeli insbesondere Mangel an Autonomie und intensiver Kontakt mit Klienten, die häufig mit Burnout korrelieren. Weitere Situationsmerkmale mit Hinweisen auf Zusammenhänge mit Burnout waren der Organisationstyp Vollzeitarbeit, Zeitmangel, geringe Partizipation, fehlende Rückmeldungen, Mangel an Kontrollmöglichkeiten sowie Führungsstil.

Betrachtet man die einzelnen Burnoutdimensionen, fällt auf, dass ‚reduziertes Wirksamkeitserleben’ diejenige Variable ist, die insgesamt am schlechtesten durch Merkmale der Situation erklärt werden kann. Insbesondere Arbeits- oder Zeitdruck korrelieren häufig nicht signifikant oder nur sehr gering mit dieser Burnoutdimension, während diese Variablen in den meisten Studien mit dem Faktor ‚emotionale Erschöpfung’ am höchsten (und signifikant) korrelieren. Vergleicht man die Korrelationen von Situationsmerkmalen mit den drei Burnoutdimensionen über 27 jüngere (zwischen 1983 und 1994 publizierte) Studien hinweg, findet sich in 15 Fällen für ,,reduziertes Wirksamkeitserleben" die geringste Varianzaufklärung und für ,,emotionale Erschöpfung" die höchste, nur in einem Fall (Siefert, Jayaratne & Chess, 1991) sind Situationsfaktoren für ,,Wirksamkeitserleben" die besten Prädiktoren. In diesem Fall wurde allerdings ,,emotionale Erschöpfung" nur mit einem Item erfaßt, d.h. der potentielle Meßfehler jst hier besonders groß.

Diejenigen Situationsmerkmale, die in den meisten Studien vergleichsweise hoch mit ,,reduziertem Wirksamkeitserleben" korrelieren, sind Rollenambiguität und Autonomie. In einer Meta-Analyse von 38 Burnoutstudien aus den Jahren 1979 bis 1993 (Pfennig & Hüsch, 1994) beträgt die durchschnittliche Korrelation von Rollenambiguität und ‚reduziertem Wirksamkeitserleben’ 0.32 (N = 8468, durch Stichprobenfehler aufgeklärte Varianz (Indikator für die Homogenität der Studienergehnisse) =40 %), während die durchschnittliche Korrelation mit ‚emotionaler Erschöpfung’ 0.38 (aufgeklärte Varianz = 61 %) beträgt. Auffällig an diesen Ergebnissen ist, dass Rollenambiguität die einzige Stressorenskala ist, deren Items positiv (im Sinne von Rollenklarheit) formuliert sind und dies in gleicher Weise für die Burnoutdimension ‚reduziertes Wirksamkeitserleben’ gilt.“

Ein wichtiger Aspekt wird von Enzmann noch gestreift, und dies ist der des „detachments“ (siehe hierzu auch die Ausführungen von Engel in einem anderen Abschnitt dieser website):

„Zusätzlich spielt eine Rolle, wieweit es möglich ist, emotionalen Abstand wahren zu können, ohne dabei empathische Anteilnahme zu verlieren (offensichtlich ein Maß für ,,detached concern“) (Corcoran, 1982, 1983). Emotionale Beteiligung korrelierte signifikant positiv mit einem Maß für emotionale Erschöpfung (eine Kombination von Items der Subskala ,,emotionale Erschöpfung" des MBI und der Überdruß-Skala (Pines & Aronson, 1988)) (r = .31, p <.05), demgegenüber korrelierte die Fähigkeit, emotionalen Abstand bewahren zu können, negativ mit emotionaler Erschöpfung (r = -.37, <.01 Wurde der Einfluß von emotionalem Abstand statistisch kontrolliert, war die Partialkorrelation zwischen Burnout und empathischer Beteiligung nicht mehr signifikant (r = .14), während bei Kontrolle vom empathischer Beteiligung die Korrelation zwischen emotionalem Abstand und Burnout signifikant blieb (r = -.25, p <.05 (einseitiger Test)). Beide Studien zeigen, dass entscheidend für den Zusammenhang von Empathie und Burnout die Frage ist, inwieweit eine distanzierte Anteilnahme gewahrt werden kann. Offenbar trägt der Verlust emotionaler Distanz zu Burnout bei, während eine empathische Anteilnahme, die durch ein bewußtes Sichhineinversetzen in die andere Person (ohne dabei die emotionale Kontrolle zu verlieren) geprägt ist, eher negativ mit Burnout zusammenhängt. Damit ist auch das Ergebnis von Williams vereinbar, der eine positive Korrelation von emotionaler Empathie (gemessen mit der ‚Mehrabian Emotional Enipathy Scale’ (MES) und Burnout fand (emotionale Erschöpfung: r = .23, p <.001; Depersonalisierung: r = .04 (n.s.); reduziertes Wirksamkeitserleben: r = .25, p <.001): Die MES enthält mehrere Items, die auch die Neigung zu emotionaler Ansteckung erfassen. 

Ab da wirds in Enzmanns Studie zunehmend kompliziert und man hat am Schluß das Gefühl, garnicht mehr richtig zu verstehen, was unter welchen Umständen bei wem zu burnout führt und bei wem nicht: 

Ein weiteres, bemerkenswertes Ergebnis der hier dargestellte Studien ist, dass die Empathiemaße vergleichsweise hoch mit der Burnout-Subskala ,,reduziertes Wirksamkeitserleben" korrelieren: Empathische Anteilnahme und Perspektivübernahme korrelieren positiv, empathischer Distreß und die Neigung zu emotionaler Ansteckung negativ mit Gefühlen persönlicher Wirksamkeit. Empathie im Sinne bewußt kontrollierter empathischer Anteilnahme bzw. ,,detached concern“ ist offenbar tatsächlich eine Fähigkeit, die dem professionellen Selbstwertgefühl dienlich ist. Diese Ergebnisse können auch als ein erster empirischer Anhaltspunkt für die Feststellung Maslachs aufgefaßt werden, dass von Helfern der Verlust emotionaler Kontrolle offenbar als ,,unprofessionell" bewertet wird (Maslach, 1982b). Denkbar ist aber auch, dass ,,reduziertes Wirksamkeitserleben" und die verschiedenen Dimensionen von Empathie gleichermaßen relativ stabile Persönlichkeitsmerkmale sind, die zwar kovariieren, zwischen denen aber kein direkter Kausalzusammenhang besteht. Bezüglich der übrigen Burnoutdimensionen fällt auf, dass emotionale Ansteckung höher mit emotionaler Erschöpfung als mit Depersonalisierung korreliert, während empathische Anteilnahme und Perspektivübernahme auch mit Depersonalisierung deutlich assoziiert ist. Spekuliert werden könnte, dass emotionale Ansteckung ursächlich für emotionale Erschöpfung ist, während Depersonalisierung eher ursächlich für einen Verlust empathischer Anteilnahme und eine geringere Bereitschaft zur Perspektivübernahme ist - womit zugleich der Status dieser Empathiekonstrukte als Persönlichkeitseigenschaft in Frage gestellt ist.“

„- Betrachtet man die Wirkung der Situationsmerkmale auf Burnout insgesamt, zeigt sich, dass ihre Wirkung auf emotionale Erschöpfung und Depersonalisierung mit wachsender Berufserfahrung abnimmt. Dabei verändert sich zum Teil die Wirkungsrichtung, so nehmen die Wirkungen von emotionaler Erschöpfung und Depersonalisierung auf Probleme in der Interaktion mit Klienten zu. Während in der Gruppe der weniger Berufserfahrenen Depersonalisierung signifikant durch die Konfrontation mit Tod und Sterben beeinflußt wird, verschwindet dieser Effekt in der Gruppe der Berufserfahreneren. Hierin zeigt sich insgesamt eine zunehmende Adaption an die potentiellen Stressoren bzw. eine geringere unmittelbare Streßvulnerabilität bei den Berufserfahreneren.

...........“

- Allgemein zeigt sich ebenfalls, dass die Wirkung der Personenmerkmale auf Burnout mit wachsender Berufserfahrung tendenziell zunimmt, dies gilt vor allem für die Wirkung von empathischem Distreß auf emotionale Erschöpfung und reduziertes Wirksamkeitserleben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Burnout mit der Erfahrung im Beruf negativ korreliert. Die Personen scheinen sich also zunehmend einem niedrigeren, ,,normalen" Burnoutniveau anzunähern, das immer weniger durch ihre aktuelle Situation determiniert wird. Was Wirkungen der Stressoren auf emotionale Erschöpfung betrifft, wird sichtbar, dass in der Gruppe der weniger Berufserfahrenen Zeitdruck der eindeutig stärkste Prädiktor für emotionale Erschöpfung ist, allerdings ist ein einseitiger Kausaleffekt nicht nachweisbar (es ist aber auch plausibel, dass Personen, die erschöpft sind, häufiger in Zeitnot geraten). Ein Vergleich des Modells kreuzverzögerter Effekte mit einem Modell, in dem unmittelbare Wirkungen zum zweiten Meßzeitpunkt angenommen werden, ergab im Gegensatz zu den bisherigen Annahmen, dass emotionale Erschöpfung eher eine kurz- als eine langfristige Streßfolge darstellt. Nur für die Wirkung von Problemen in der Interaktion mit Klienten zeigte sich in der Gruppe der weniger Berufserfahrenen eine eindeutig einseitige, langfristige Wirkung auf emotionale Erschöpfung, die aber geringer ist als der Zeitdruckeffekt. Der Wirkungszusammenhang von Regulationshindernissen mit emotionaler Erschöpfung ist offenbar wechselseitig. Die Konfrontation mit Tod und Sterben trägt nicht zu emotionaler Erschöpfung bei. Diese Effekte sind in der Gruppe der Berufserfahreneren insgesamt geringer. Im Gegensatz zu den Annahmen von Maslach (1993) ist der Burnoutaspekt ,,emotionale" Erschöpfung also eine allgemeine Erschöpfungsreaktion, die vor allem bei den weniger Berufserfahrenen durch Überforderung durch Zeitdruck bzw. durch die Arbeitsmenge und weniger durch die Qualität der Kontakte mit Klienten ausgelöst wird.

- Bei den weniger Berufserfahrenen finden sich bezüglich Stressoren und Depersonalisierung nur bedeutsame Wirkungszusammenhänge mit Zeitdruck und der Konfrontation mit Tod und Sterben. Eindeutig primäre Kausaleffekte lassen sich jedoch nicht feststellen. Bei Depersonalisierung ist der Effekt des arbeitsbezogenen Stressors (Zeitdruck) etwa gleich groß wie der Effekt des klientenbezogenen Stressors (Konfrontation mit Tod und Sterben). Bei emotionaler Erschöpfung dagegen dominiert eindeutig die Wirkung von Zeitdruck. Insofern kann Depersonalisierung eher als emotionale Erschöpfung als eine Reaktion auf emotionale Belastungen verstanden werden, die in der Arbeit mit Klienten entstehen. Bei den Berufserfahreneren sind diese Effekte jedoch nicht mehr signifikant, tendenziell führt Depersonalisierung (wie auch emotionale Erschöpfung) hier sogar zu Problemen in der Interaktion mit Klienten. Auch was diese Burnoutreaktion betrifft, zeigt sich hier also mit zunehmender Berufserfahrung eine Anpassung an die Stressoren.

- Wie in der Gesamtstichprobe zeigen sich auch in den Teilstichproben keine Wirkungszusammenhänge der  Stressoren mit reduziertem Wirksamkeitserleben. Bei den weniger Berufserfahrenen findet sich dagegen ein wechselseitiger Zusammenhang mit Perspektivübernahme, wobei Perspektivübernahme das Wirksamkeitserleben erhöht (und umgekehrt). Bei den Berufserfahreneren ist dieser Zusammenhang nicht mehr sichtbar, statt dessen verringert empathischer Distreß das Wirksamkeitserleben signifikant. Erwartbare Effekte von Empathie finden sich also vor allem mit der Bumoutdimension reduziertes Wirksamkeitserleben, wobei diese Effekte in der Gruppe der Berufs-erfahreneren ausgeprägter sind. .....“ usw.

Ich zweifle nicht daran, dass Enzmann hier seine Ergebnisse differenziert und exakt wiedergibt. Ich zweifle nur daran, dass es jemand versteht und ich frage mich, ob jemand hieraus wirklich pragmatischen Nutzen für die Praxis ziehen kann.

Im Resumee, also der Zusammenschau sämtlicher Ergebnisse seiner über 340 Seiten langen Studie stellt sich schließlich einerseits die Repräsentativität der Studie als fragwürdig heraus - Enzmanns Ergebnisse stehen und fallen nämlich nach seinen Aussagen mit folgender Bedingung:

„Die meisten Ergebnisse wurden an den beiden Teilstichproben mehr und weniger Berufserfahrener gewonnen. Ein wichtiger Teil der Ergebnisinterpretation basiert auf der Annahme, dass in der Gruppe der Berufserfahreneren zu einem früheren Zeitpunkt die gleichen Wirkungszusammenhänge existiert haben wie in der Gruppe der weniger Berufserfahrenen. Das heißt, die Ergebnisse sind nur unter der nicht prüfbaren Voraussetzung gültig, dass in dieser Hinsicht keine systematischen Selektionseffekte vorliegen.“

Wie wir aus der therapeutischen Tätigkeit wissen, ist der Prozentsatz frühzeitiger Berufswechsler bzw. Aussteiger in diesem Bereich aber erheblich. Hierdurch sind die Ergebnisse nur für eine Teilpopulation gültig – die Selektion derjenigen, die „durchgehalten haben“. Unter diesen Bedingungen kann eine Bewertung der Ergebnisse nicht mehr vorgenommen werden.

Zum anderen führen die Ergebnisse der Studie wiederum laut Enzmann rückwirkend zu dem Resultat, dass das den Ergebnissen der Arbeit zugrundeliegende Messinstrument (Maslach Burnout Inventory MBI) bedauerlicherweise nicht das misst, was es zu messen vorgibt – dabei war es grad deshalb zur Messung ausgewählt worden.

Burisch beschreibt in seiner Arbeit aus dem Jahre 1994 folgende Stadien eines fortschreitenden Burnoutprozesses:

„Burnout-Symptomatik

1. Warnsymptome der Anfangsphase

a) Vermehrtes Engagement für Ziele

- Hyperaktivität

- Freiwillige unbezahlte Mehrarbeit

- Gefühl der Unentbehrlichkeit

- Gefühl, nie Zeit zu haben

- Verleugnung eigener Bedürfnisse

- Verdrängung von Misserfolgen und Enttäuschungen

- Beschränkung sozialer Kontakte auf Klienten

h) Erschöpfung

- Chronische Müdigkeit

- Energiemangel

- Unausgeschlafenheit

- Erhöhte Unfallgefahr

2. Reduziertes Engagement

a) Für Klienten und Patienren

- Desillusionierung

- Verlust positiver Gefühle gegenüber Klienten

- Größere Distanz zu Klienten

- Meidung von Kontakt mit Klienten und/oder Kollegen

- Aufmerksamkeitsstörungen in der Interaktion mit Klienten

- Verschiebung des Schwergewichts von Hilfe auf Beaufsichtigung

- Schuldzuweisung für Probleme an Klienten

- Höhere Akzeptanz von Kontrollmitteln wie Strafen oder Tranquilizern

- Stereotypisierung von Klienten, Kunden, Schülern etc.

- Betonung von Fachjargon

- Dehumanisierung

b) Für andere allgemein

- Unfähigkeit zu geben

- Kälte

- Verlust der Empathie

- Unfähigkeit zur Transposition

- Verständnislosigkeit

- Schwierigkeiten, anderen zuzuhören

- Zynismus

c) Für die Arbeit

- Desillusionierung

- Negative Einstellung zur Arbeit

- Widerwillen und Überdruß

- Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen

- Ständiges Auf-die-Uhr-sehen Fluchtphantasien

- Tagträumen

- Üherziehen von Arbeitspausen

- Verspäteter Arbeitsbeginn

- Vorverlegter Arheitsschluß

- Fehlzeiten

- Verlagerung des Schwergewichts auf die Freizeit, Aufblühen am Wochenende

- Höheres Gewicht materieller Bedingungen für die Arbeitszufriedenheit

d) Erhöhte Ansprüche

- Verlust von Idealismus

- Konzentration auf die eigenen Ansprüche

- Gefühl mangelnder Anerkennung

- Gefühl, ausgebeutet zu werden

- Eifersucht

- Partnerprobleme

- Konflikte mit den eigenen Kindern

3. Emotionale Reaktionen; Schuldzuweisung

a) Depression

- Schuldgefühle

- Reduzierte Selhstachtung

- Insuffizienzgefühle

- Gedankenverlorenheit

- Selbstmitleid

- Humorlosigkeit

- Unbestimmte Angst und Nervosität

- Abrupte Stimmungsschwankungen

- Verringerte emotionale Belastbarkeit

- Bitterkeit

- Abstumpfung, Gefühl von Abgestorbensein und Leere

- Schwächegefühl

- Neigung zum Weinen

- Ruhelosigkeit

- Gefühl des Festgefahrenseins

- Hilflosigkeits-, Ohnmachtsgefühle

- Pessimismus, Fatalismus

- Apathie

- Selbstmordgedanken

h) Aggression Schuldzuweisung an andere oder ,,das System'

- Vorwürfe an andere

- Verleugnung der Eigenbeteiligung

- Ungeduld

- Launenhaftigkeit

- Intoleranz

- Kompromißunfähigkeit

- Nörgeleien

- Negativismus

- Reizbarkeit

- Ärger und Ressentiments

- Defensive/paranoide Einstellungen

- Mißtrauen

- Häufige Konflikte mit anderen

4. Abbau

a) der kognitiven Leistungsfähigkeit

- Konzentrations- und Gedächtnisschwäche

- Unfähigkeit zu komplexen Aufgaben

- Ungenauigkeit

- Desorganisation

- Entscheidungsunfähigkeit

- Unfähigkeit zu klaren Anweisungen

b) der Motivation

- Verringerte Initiative

- Verringerte Produktivität

- Dienst nach Vorschrift

c) der Kreativität

- Verringerte Phantasie

- Verringerte Flexibilität

d) Entdifferenzierung

- Rigides Schwarzweißdenken

- Widerstand gegen Veränderungen aller Art

5. Verflachung

a) des emotionalen Lebens

- Verflachung gefühlsmäßiger Reaktionen

- Gleichgültigkeit

b) des sozialen Lebens Weniger persönliche Anteilnahme an anderen oder exzessive Bindung an einzelne Meidung informeller Kontakte

- Suche nach interessanteren Kontakten

- Meidung von Gesprächen über die eigene Arbeit

- Eigenbrödeleien

- Mit sich selbst beschäftigt sein

- Einsamkeit

c) des geistigen Lebens

- Aufgeben von Hobbys

- Desinteresse

- Langeweile

6. Psycbosomatische Reaktionen- Schwächung der Immunreaktion

- Unfähigkeit zur Entspannung in der Freizeit

- Schlafstörungen

- Alpträume

- Sexuelle Probleme

- Gerötetes Gesicht

- Herzklopfen

- Engegefühl in der Brust

- Atembeschwerden

- Beschleunigter Puls

- Erhöhter Blutdruck

- Muskelverspannungen

- Rückenschmerzen

- Kopfschmerzen

- Nervöse Ties

- Verdauungsstörungen

- Übelkeit

- Magen-Darm-Geschwüre

- Gewichtsveränderungen

- Veränderte Eßgewohnheiten

- Mehr Alkohol/Kaffee! Tabak! andere Drogen

7. Verzweiflung

„Disponierende Persönlichkeitsmerkmale”

- Negative Einstellung zum Leben

- Hoffnungslosigkeit

- Gefühl der Sinnlosigkeit

- Selbstmordabsichten

- Existentielle Verzweiflung“

Burisch betont die Inkonsistenzen der Burnoutforschung in Bezug zu disponierenden Persönlichkeitsfaktoren:

Die ’Persönlichkeit des Ausbrenners’, soviel sei vorausgeschickt, gibt es wahrscheinlich nicht. Vielleicht werden sich später einmal Persönlichkeits-Cluster, d.h. verschiedene ‘Typen’, aus empirischen Analysen destillieren lassen. Einstweilen müssen wir einige eklatante Widersprüche in der Literatur zur Kenntnis nehmen. So schreiben Freudenberger & Richelson:

Das Ausbrennen beschränkt sich hauptsächlich auf die dynamischen, charismatischen und zielstrebigen Männer und Frauen, auf jene ausgemachten Idealisten, ..., die sich bei allem, was sie tun, voll und ganz einsetzen und auch innerlich daran beteiligt sind.

Nicht ohne Verblüffung liest man daraufhin Maslachs Charakterisierung, die sich auf Fragebogenergebnisse aus der Dissertation von Gann stützt:

... dem burnout-gefährdeten Individuum fehlt Selbstvertrauen, es besitzt wenig Ehrgeiz, ist zurückhaltend und konventionell. Ein solcher Mensch hat weder klar definierte Zielvorstellungen noch das erforderliche Maß an Entschlossenheit und Selbstsicherheit, um Ziele zu erreichen.

Man wird an die Beschreibung des ‘typischen’ Alkoholikers bei Miller erinnert:

Der durchschnittliche Alkoholiker ist ein passiver, überaktiver, gehemmter, ausagierender, zurückgezogener, geselliger Psychopath mit ausgeprägtem Gewissen, der als Folge exzessiver und ungenügender mütterlicher Zuwendung schwache Abwehrmechanismen abwehrt.

Abgesehen von der Möglichkeit, dass sowohl Freudenbergers als auch Maslachs Typen gleichermaßen burnout-gefährdet sein können, ist es natürlich auch denkbar, dass letzterer am Ende, ersterer am Anfang seines Burnout-Prozesses beobachtet wurde, oder dass Maslach eher ‘Wearout’ im Sinne Fischers beschreibt. An anderer Stelle spricht auch Freudenberger von zwei burnout-trächtigen Persönlichkeitstypen.

Der eine sehe sich als ‘Mitläufer, leistungsschwach, überempfindlich, passiv und liebesbedürftig’,

der andere als ‘gesellig, begabt, wach, manchmal frenetisch und leistungsstark’

Einige Merkmale seien beiden Typen gemeinsam: Einsamkeit in der Kindheit und auch im Erwachsenenalter, Unfähigkeit zum Gefühlsausdruck und zur Selbstbehauptung, hungrig nach Anerkennung.

Das Changieren zwischen Extremen in den obigen Charakterisierungen der ‘Ausbrennerpersönlichkeit’ wäre schließlich auch dadurch erklärbar, dass es sich um die beiden Gesichter ein und desselben Januskopfes handelt. In Johnsons Analyse des ‘narzißtischen Persönlichkeitsstils’ ebenso wie bei Freudenberger & Richelson gibt es die von dem Psychoanalytiker Kohut entlehnte Figur der Spaltung in ein ‘wahres’ und ein ‘falsches’ oder ‘vorgestelltes’ Selbst.

Zugleich aber verlangt das vorgestellte Selbst, das Image, zunehmend nach Verstärkung, denn das wahre Selbst wurde als wertlos verdammt, und das vorgestellte verlangt nach einer Kompensation für alles, was es von innen nicht mehr bekommt.... Das betroffene Individuum ... verabscheut dieses wahre Selbst dermaßen, dass es ins andere Extrem oder in was auch immer verfällt. Im Grunde aber führt es niemanden als sich selbst an der Nase herum, und es muß sich dermaßen anstrengen, sein Image aufrechtzuerhalten, dass diese Anstrengung allein schon zur Quelle seines Zusammenbruchs, seines ,Burn-Out', werden kann. Die Fassade zu wahren, wird zur wichtigsten Sache des Lebens, und der Betroffene investiert seine ganze Energie dafür.’

Burisch resumiert wesentlichen Perspektiven der Stressforschung – die physiologische, die psychologische und die organisationspsychologische und fasst sie wie folgt zusammen:

‘Die Beiträge der Stressforschung für das Verständnis des Burnoutsyndroms, die schon im Text verschiedentlich gekennzeichnet wurden, sollen hier noch einmal zusammengefaßt werden

Was an somatischen Symptomen des Burnout-Syndroms bekannt ist (und in der Burnout-Literatur einstweilen fast ausschließlich über Verbalmethoden erfaßt wurde), stimmt offensichtlich mit denen des GAS (Generelles Adaptationssyndrom) überein. Die physiologische Stressforschung erklärt das Zustandekommen dieser Symptome und zeigt Parameter auf, die in der Burnout-Forschung als Indikatoren verwendet werden sollten.

Schließlich verdient Beachtung, dass es bei Bedrohungen und Herausforderungen um Erwartungen geht, die steuernd in den Handlungsstrom eingreifen. 

Die psychologische Stressforschung steuert den Begriff Bedrohung als wichtige Denkkategorie bei und betont den subjektiven, individuellen Charakter dieser Lageeinschätzung. Schon so läßt sich deuten, warum unter äußerlich sehr ähnlichen Bedingungen manche Individuen in einen Burnout-Prozeß geraten, andere nicht. Weitere Erklärungen für diesen Sachverhalt lassen sich in individuellen Coping-Stilen und -Fähigkeiten vermuten; gleichfalls ein Beitrag dieser Richtung.

Der organisationspsychologischen Stressforschung verdanken wir mit den Begriffsfeldern Rollenkonflikt und Rollenunklarheit wichtige Situationskategorien, die, moderiert durch individuelle Dispositionen, für Menschen bedrohlich wirken können. Damit sind auch situative Risikofaktoren benannt, die das Auftreten von Burnout-Prozessen begünstigen dürften - und Ansatzpunkte für Interventionen auf individueller, Organisations- und gesellschaftlicher Ebene.

Person-Environment-Fit eignet sich vorzüglich als relativ umfassendes Denkmodell, sowohl für Stress- als auch für Burnout-Prozesse. Eine Umwelt, die ein Individuum zu häufig oder zu intensiv vor subjektiv bedrohliche Situationen stellt oder ihm zu häufig oder zu nachhaltig wichtige Bedürfnisbefriedigungen vorenthält, sorgt für Stress, u. U. Dauerstress. Scheitern die Bewältigungsversuche oder sorgen sie für nunmehr ‘hausgemachte’ Bedrohungen/Frustrationen, dann ist der Weg für einen Burnout-Prozeß bereitet.

Der obige Denkansatz läßt die Schuldfrage, die nicht nur in Teilen der Burnout-Literatur, sondern auch in jeder Diskussion rasch breiten Raum einnimmt, als Scheinfrage erkennen. Es ist die mangelnde ‘Passung’ zwischen Situation und Individuum, die das Problem darstellt. Ich habe an anderer Stelle (Burisch, 1985) das Bild des sprichwörtlichen Kamels gebraucht, dem eine Last das Rückgrat bricht. Frage: War die Last zu schwer oder das Kamel zu schwach? Antwort: Die Last war zu schwer für das Kamel. Selbstverständlich gibt es seltene Fälle von Kamelen, die unter jeder Last zusammenbrechen, und von Lasten, die jedes Kamel überfordern würden ...’

Dieser etwas vorschnellen und vermeintlich vereinfachenden Schlussfolgerung Burischs stehen allerdings Aussagen führender Hirnforscher entgegen, wie z. B. die von Prof. Gerhard Roth, Doktor der Philosophie und der Biologie, Direktor des Instituts für Hirnforschung in Bremen und Gründungsrektor des Hanse-Wissenschaftskollegs der Länder Bremen und Niedersachsen:

„Jeder irrt, der zu wissen glaubt, was ein anderer denkt. Wenn ein Mensch einen anderen fragt: ‘In welcher Welt lebst du eigentlich?’, ist er den Einsichten der Wahrnehmungsforscher sehr nahe. Für die ist klar: Jeder irrt, der zu wissen glaubt, was ein anderer denkt und fühlt.’

In seiner jahrelangen Beschäftigung mit der Frage, wie das Gehirn die Welt wahrnimmt, ist Roth zu zwei wichtigen Schlußfolgerungen gekommen. Erstens macht sich jedes Gehirn seine eigene Welt. Die individuelle Wirklichkeit und die vom Bewußtsein unabhängige Realität sind zwei verschiedene Dinge. Daraus folgt zweitens: Naturwissenschaftliche Aussagen können nie den Anspruch erheben, objektiv wahr zu sein. Ich zitiere aus einem Interview, das Jürgen Nakott, Mitarbeiter der ZeitschriftBild der Wissenschaft, mit Roth führte:

Narkott: Ein bekanntes Nachschlagewerk definiert das Phänomen der Wahrnehmung sinngemäß so: „Das menschliche Gehirn erstellt aus den Signalen, die ihm über die Sinnesorgane zugehen, ein anschauliches Bild seiner Umwelt und seines Körpers.“ Wahrnehmung wäre also eine Spiegelung der Umwelt. Ist das so?

Roth: Nur zu einem ganz kleinen Teil. Die Hauptaufgabe des Gehirns ist, ein Verhalten zu erzeugen, mit dem ich als Mensch in meiner spezifischen Umwelt - der natürlichen und der sozialen - überleben kann. Wenn diese Umwelt sehr komplex ist - und das ist sie -, dann überfordert eine komplette Abbildung unser Aufnahmevermögen völlig. Unser Gehirn tastet vielmehr die Umwelt blitzschnell ab und prüft, was für uns in der jeweiligen Situation wichtig und was unwichtig ist. Es konzentriert sich dann auf die wichtigen Dinge und fragt in seinem Gedächtnis nach: Welche Erfahrung habe ich mit diesen Dingen, was bedeuten diese Signale für mich. Auf dieser Basis plant es ein Verhalten, das für mein Überleben hilfreich ist. Das bedeutet aber: Mein Gehirn bildet nicht die Umwelt detailgetreu ab, sondern nur das Allerwichtigste davon, und alles andere erinnert, interpretiert und plant es aus sich heraus, auf der Grundlage seiner individuellen Erfahrungen. Im Klartext: Wahrnehmung ist nicht Abbildung, sondern Interaktion. Die Welt, in der wir bewußt leben, ist nicht die Wiedergabe unserer realenUmwelt, sondern vor allem ein Produkt unseres Gedächtnisses und damit unserer Erfahrung. Die aktuellen Sinnesreize sind nur der Anlaß für unser Gehirn, bewährte Konstrukte aus dem Gedächtnis abzurufen.

Narkott: Das, was wir wahrnehmen, ist also nicht nur eine Konstruktion unseres Gehirns, wie extreme Denker sagen? Es gibt also eine Umwelt?

Roth: Also, philosophisch gesprochen können wir natürlich überhaupt keine Gewißheit haben über die Existenz einer Welt außerhalb unseres Kopfes. Wir haben nur die Gewißheit über unsere eigenen Sinnesdaten. Ob diese Sinneseindrücke aus einer äußeren Welt stammen, kann ich nicht unmittelbar überprüfen. Ich kann sie ja nicht anfassen, sondern was mein Gehirn verarbeitet sind immer nur Sinneseindrücke, von druckempfindlichen Tastsensoren in meinen Fingerspitzen etwa. Die Frage kann also nicht sein, ob ich nachweisen kann, dass es eine unabhängige Welt gibt, sondern nur, ob es plausibel ist, von ihrer Existenz auszugehen. Meine Antwort: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es eine äußere Welt gibt.

Narkott: Und in welcher Beziehung steht diese reale Welt mit der in meinem Kopf?

Roth: Gibt es überhaupt eine Beziehung? Diese Frage beantworten drei Denkrichtungen ganz verschieden: der Solipsismus, der radikale und der gemäßigte Konstruktivismus. Der Solipsist sagt: Es gibt keine äußere Welt, alles, was ich wahrnehme, ist eine Konstruktion meines Gehirns. Den Solipsisten kann man streng logisch nicht widerlegen, da er alles - jeden Sinneseindruck und jede Erfahrung - zu einer Illusion erklärt. Man kann das vielleicht vergleichen mit hirngeschädigten Patienten, die keine Erinnerung speichern können, und die sich deshalb jeden Tag eine neue Vergangenheit ausdenken, von deren Realität sie jeweils vollkommen überzeugt sind. Solche Menschen gibt es, sie leben wirklich in einer - täglich neuen - Illusion. Im Gegensatz zum Solipsisten sagt der radikale Konstruktivist: Es mag eine bewußtseinsunabhängige Umwelt geben, wir können aber ihre Existenz nie beweisen, und wir können auch nichts über sie aussagen. Ich gehöre nicht zu dieser Fraktion, aber diese Überlegung muß man ernst nehmen. Ich will das an einem Beispiel erklären: In der Welt außerhalb unseres Kopfes gibt es keine Farben, das ist klar, aber es gibt Licht unterschiedlicher Wellenlängen. Stopp, sagt der radikale Konstruktivist: Der Begriff Wellenlänge ist eine Konstruktion der Physik, und kein Physiker würde sagen, dass Wellenlängen objektiv existieren. Es gibt vielmehr Phänomene, die Physiker auf der Grundlage einer bestimmten einheitlichen Sprache mit dem Begriff Wellenlänge bezeichnen. Wir nehmen also nur bestimmte Phänomene wahr, die wir mit Begriffen belegen, denen wir eine Farbe zuschreiben, oder die wir rund oder eckig nennen. Wieviel diese Begriffe taugen, um die reale Umwelt zu beschreiben, weiß kein Mensch.

Narkott: Aber belegt nicht die Tatsache, dass wir uns als Menschen, egal welcher Herkunft, einigen können, teilweise ja sogar mit anderen Tierarten, wann etwas rund ist, dass es dieses Runde tatsächlich gibt?

Roth: Ja und nein. Auch der radikale Konstruktivist wird nicht bezweifeln, dass es Dinge gibt, die wir rund nennen, und über die wir uns auch mit Hunden und Papageien einigen können, sie für rund zu halten. Was diese verschiedenen Gehirne aber wirklich wahrnehmen, und was das mit der Umwelt außerhalb eines Bewußtseins zu tun hat, können wir grundsätzlich nicht sagen. Sobald ich Dinge beschreibe, sagt der radikale Konstruktivist, tue ich das in menschlichen Begriffen. Diese Form einer Beschreibung von Dingen muß ich strikt unterscheiden von der Art ihrer Existenz außerhalb des menschlichen Bewußtseins.

Soweit Roth. Das bedeutet allerdings auch, dass die Chiffrierung eines Ereignisses als „Stress“ physiologisch, kognitiv, emotional und hinsichtlich der Verhaltensreaktion grundsätzlich auf der Ebene des individuellen Gehirns erfolgt. Daher ist dies auch die Ebene, auf der angesetzt werden muß, um „Stress“ zu neutralisieren und minimieren.

Zur Rolle von Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Frustration fasst Burisch zusammen:

„In der Zusammenschau ergibt sich folgendes Bild:

Ein Individuum, das feststellen muß, ein wichtiges Ereignis, das es herbeiführen oder vermeiden möchte, nicht kontrollieren zu können, erhöht in der Regel, solange der Versuch nicht aussichtslos erscheint, zunächst seine Anstrengungen (Reaktanz), oft unter Vernachlässigung erfolgversprechender Strategien und Alternatjvziele. Je nach Disposition und Umständen kommt es zu Ärger und Aggression, die auch auf Dritte oder die eigene Person ‘verschoben' werden kann. Wenn die Frustrierung von Menschen ausgeht und insbesondere dann, wenn sie als gezielt und beabsichtigt interpretiert wird, verschlechtert sich das Verhältnis zu diesen. Autoaggression ist wahrscheinlicher bei Frustrationen, die in Ursache und Richtung als ungezielt und unabsichtlich wahrgenommen werden.

Wenn auch vermehrter Einsatz nichts fruchtet, kommt es zu subjektiver Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit kann einer faktischen Unmöglichkeit entsprechen, es kann aber auch sein, dass der Akteur ihm gangbare Wege als solche lediglich nicht erkennt. Das Erlebnis der Hilflosigkeit löst weitere Konsequenzen emotionaler Art (Angst, Ärger, Unlust, Erregung, später evtl. Depression), motivationaler Art (Apathie) und kognitiver Art aus (verminderte Fähigkeit, bestehende Eingriffschancen doch noch zu entdecken, Strategien zu planen bzw. zu ändern oder zukünftig kontrollierbare Situationen von unkontrollierbaren zu unterscheiden). Läßt sich eine unkontrollierbare Situation nicht vermeiden (Beispiele: Unterricht in einer renitenten Klasse; Notoperation im Kriegslazarett), dann kann eine Art ‘emotionaler Totstellreflex“ als Schutz gelernt werden.

Noch schwerer wiegende gesundheitliche Folgen, zu denen Seligman ebenfalls Verbindungen gezogen hat, werde ich im nächsten Abschnitt behandeln. Art und Schwere der Konsequenzen hängen von der Wichtigkeit des Ereignisses für den Akteur ab, vermutlich aber auch von seinen Kausalattributionen für die Hilflosigkeit.

Wieviel interindividuelle Variation um die obige, idealtypisch skizzierte Reaktionsfolge besteht, ist unbekannt, ähnlich wie bei der Stressreaktion. Individuen besitzen nicht nur unterschiedlich gut funktionierende Bewältigungsmechanismen und unterschiedlich starke Hemmungen, Aggression oder Depression bei sich zuzulassen. Im ‘realen" Leben außerhalb des Labors überlagern sich normalerweise auch stets mehrere Erlebnisstränge: Erfolge und Fehlschläge an verschiedenen Fronten können sich gegenseitig kompensieren, aber auch summieren oder gar potenzieren.“

Zur Beziehung zwischen Psychosomatik und Stress/Burnout fasst Burisch sodann zusammen:

„Bei einer ersten Betrachtung, die notwendig sehr grobkörnige Begriffe wie Unkontrollierbarkeit und Hoffnungslosigkeit verwenden muß, sind die Parallelen zwischen den Befunden der psychosomatischen Forschung und den in früheren Abschnitten referierten frappierend. Es ist bedauerlich und nur durch den hohen technischen Aufwand bei geringer Manifestationswahrscheinlichkeit zu erklären, dass in relativ wenigen psychologischen Stress- oder Hilflosigkeitsuntersuchungen vom Längsschnittypus (und in kaum einer Burnout-Studie) physiologische Parameter oder gar objektivierte Erkrankungen erfaßt wurden. Umgekehrt wäre in psychosomatischen Langzeitstudien der Einsatz von Burnout-Maßen lohnend.

So bleibt einstweilen ungeklärt, ob die genannten Psychosomatosen den vorläufigen Endpunkt eines vorangegangenen Burnout-Prozesses darstellen, oder ob es sich um zwei alternative Wege handelt, die von gleichen oder ähnlichen Anfangssituationen ihren Ausgang nehmen. Nicht auszuschließen ist, dass sich bei näherem Hinsehen doch subtile Unterschiede zwischen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit der späteren Ausbrenner und der der späteren Psychosomatiker finden ließen. Wahrscheinlicher erscheint mir - ohne dass ich das belegen könnte -, dass der Unterschied in den Reaktionsweisen (im Sinne von Coping-Stilen) liegen könnte.

Eine erste wilde Vermutung denkt an die Gefühlsunterdrückung, die für Herz-, Kreislauf- und Krebskranke berichtet wird. Nimmt man den Begriff wörtlich, dann finden dort emotionale Reaktionen statt, vermutlich heftige, die aber selten oder nie kathartisch abreagiert werden. Für Ausbrenner dagegen scheint ab einem gewissen Stadium die emotionale Abkopplung typisch zu sein, welche Gefühlsaufwallungen erst gar nicht mehr zuläßt

Eine andere Hypothese zielt auf die Fähigkeit vs. Unfähigkeit, sich die Regression in eine Krankheit zu gestatten; vgl. Schmidbauers Unterscheidung des ‚oral-progressiven’ und des ‚oral-regressiven’ Charakters. Zwei Wege oder unterschiedliche Etappen desselben Weges ? Hier sind noch viele Fragen offen.“

Auch das Ausmaß von Arbeitszufriedenheit spielt nach Burisch eine wichtige Rolle:

„Ich vermute, dass Ausbrenner schon aus einer gewissen Rigidität bei der Normensetzung heraus besondere Schwierigkeiten haben, ihr Anspruchsniveau zu senken und darum eher in einer der Kategorien ‘resignative" oder ‘fixierte Arbeitsunzufriedenheit’ oder ‘Pseudoarbeitszufriedenheit’ zu suchen sein werden. Genauer gesagt, stelle ich mir den Burnout-Prozeß - wo beruflich bedingt - als eine Sequenz nicht nachhaltig erfolgreicher Coping-Versuche vor, die, wenn sie nicht durch Arbeitsplatz- oder gar Berufswechsel abgebrochen wird, schließlich in fixierte (und allmählich generalisierte) Arbeitsunzufriedenheit mündet. Von dort aus können Effekte in andere Lebensbereiche ‘überschwappen". Wo nicht, entsteht der ‘Chrysalis’-Lebensstil (‚Chrysalis-Effekt’ – ‚das Leben beginnt erst nach Arbeitsschluss’; ‚man legt sich in der Freizeit nach Arbeitsschluss eine Art Doppelleben in Hobbys und Vereinen zu, das die Befriedigung verschafft, die von der Arbeit nicht mehr erwartet wird. Nach Feierabend blüht man so auf.’).

Wichtig scheint mir am Bruggemann-Modell das erneute Auftauchen des Faktors Situationskontrolle. Vor schnellen Schlußfolgerungen sei aber gewarnt. Eine der nächstliegenden Möglichkeiten, die Situationskontrolle abhängig Beschäftigter zu erhöhen, besteht ja in der Einführung partizipativer Formen des Managements. Maßnahmen der Organisationsentwicklung, wie Golembiewski (1982) sie in diesem Zusammenhang empfiehlt, haben erklärtermaßen das Ziel, ‘Betroffene zu Beteiligten zu machen’.

Müßten demnach nicht in selbstverwalteten Betrieben, unter Betriebsräten oder Mitgliedern anderer Mitbestimmungsgremien besonders niedrige Burnout-Raten herrschen? Einiges deutet darauf hin, dass das keineswegs so ist. Golembiewski (1982) hat Möglichkeiten aufgezählt, wie Organisationsentwicklung zu Burnout sogar beitragen kann.

Was im Bruggemann-Modell fehlt, ist der Faktor der Erwartungsenttäuschung, den ich für eine notwendige Burnout-Bedingung halte. Wo z. B. über eine organisatorische Veränderung Mitarbeitern mehr Mitspracherechte eingeräumt werden soll, können übertriebene Hoffnungen geweckt werden, deren Enttäuschung auf die eine oder andere Weise eher Burnout-fördernd wirken kann. Zweitens vermute ich, dass für die meisten Menschen die Kontrolle hautnaher und handgreiflicher Ziele entscheidender für das Entstehen des Burnout-Syndroms ist als die Kontrolle über viel ‘wichtigere’, aber mittelbarere Ereignisse. Einem Personalratsmitglied etwa, das jahrelang vergeblich um ein eigenes Arbeitszimmer kämpft (z. B. um sich einem verhaßten Kollegen zu entziehen), wird es hier nur wenig Trost bieten, dass gewichtige Entscheidungen im Betrieb nur mit seiner Zustimmung fallen können.“

Zum „subjektiven Wohlbefinden“, zum Rhythmus zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung als „Glück“ und zu imaginativen Innenwelt-Anreizlandschaften sagt Burisch:

„Die Ergebnisse der Forschungen zu subjektivem Wohlbefinden und Imagination sind von alltagstheoretischen Vermutungen nicht weit entfernt, präzisieren sie aber. Der dauerhafteste Glückszustand scheint in positiven Erwartungen (‘Vorfreude’) zu bestehen, die genügend oft erfüllt oder übertroffen werden, um nicht grundsätzlich in Zweifel zu geraten.

Solange dies der Fall ist, ist die Welt ‘in Ordnung’. Einen Knacks bekommt die Sache, wenn die Erreichbarkeit des Zieles (prinzipiell oder auch nur zur erwarteten Zeit oder auch nur für den erwarteten Aufwand) fraglich wird. Dies kann durch sich ankündigende Schwierigkeiten geschehen oder durch einen ersten Mißerfolg, der weitere Anläufe noch nicht hoffnungslos erscheinen läßt. In diesem Schwebezustand tritt das Ziel besonders häufig und - wegen des Konflikts von ‘Hoffnung auf Erfolg’ und ‘Furcht vor Mißerfolg’ - intensiv unlustbetont ins Bewußtsein. Muß es dann endgültig abgeschrieben werden, setzt der schon im Abschnitt ‘Frustration und Frustrationsfolgen’' S.77, beschriebene emotionale Reaktionszyklus ein.

Wenn wir bereit sind, bei Menschen in Burnout-Prozessen gehäuft unerwartete Frustrationserlebnisse zu vermuten, dann eröffnet die Imaginationsforschung einen Blick auf das Innenleben des Ausbrenners. Seine Gedanken kreisen überwiegend um all das, was wieder nicht geklappt hat, was wahrscheinlich wieder nicht klappen wird, was alles er nicht erreichen kann, bis schließlich Freude allenfalls noch beim Denken an die Freizeit entsteht - oder nicht einmal dort: Dann wird alles grau. Der Begriff ‘Überdruß’ (Tedium) sagt im Grunde ja nichts anderes aus.

Bis eine solche durchgreifende Anreizverarmung eintritt, muß sicher viel Übergeneralisierung geschehen sein. Allem, was schiefgegangen ist, steht ja meist eine ganze Reihe geglückter Erfahrungen gegenüber.

Erfahrene Supervisoren wissen das und haken ein, wenn sie auf Aussagen treffen wie ‘Die Schüler lehnen mich ab’ oder ‘Ich komme mit den Patienten immer schlechter zurecht’. Die Frage lautet dann: Mit welchem Schüler? Mit welchen Patienten? Oder auch einfach nur: Woher weißt Du das?

Vielleicht generalisieren Burnout-gefährdete Menschen nur bereitwilliger und/oder lösen den inneren Alarm, der verlorengehende Kontrolle anzeigt, leichter aus.’

Schließlich analysiert Burisch die Empfehlungen aus der Literatur zu Stressmanagement:

„Beehr & Newman (1978), die Angestellte von Wirtschaftsunternehmen im Blickfeld haben, stellen ‘adaptive Reaktionen’ des betroffenen Individuums, der Organisation und dritter Parteien zusammen.

und kommt zu dem Fazit:

Die erste Liste reicht von Meditation und Entspannungstechniken über realistische Zielsetzungen bis zu vernünftiger Ernährung und Ruhepausen,

die zweite von Arbeitsplatzgestaltung bis zu verbesserter Gesundheitsfürsorge.

‘Dritte Parteien’ können z. B. Freunde oder Familienangehörige sein, die Stützung bieten, aber auch ein Gesetzgeber, der eine Vorruhestandsregelung beschließt.“

Und weiter:

„Die Schwäche derartiger Empfehlungen, so sinnvoll sie im einzelnen sein mögen, liegt in der mangelnden Durchschlagskraft. ‘Drittparteien’ dürften von dieser Art Literatur nur selten erreicht werden. Ob der burnout-gefährdete, überlastete und ohnehin dysphorische Käufer eines Stressbuches genügend Kraft und Selbstüberwindung aufbringt, um das Rauchen aufzugeben und stattdessen Frühsport anzufangen, bleibt zumindest zweifelhaft. Was Organisationen betrifft, so werden in Großunternehmen Trainings in Stress- oder Zeitmanagement ohnehin häufig angeboten; sehr viel seltener in Institutionen des öffentlichen Dienstes und in Klein- und Mittelbetriehen. Wie derlei zu bewerkstelligen wäre, dazu sind die Ratgeber aber meist nicht explizit genug; überdies sollten Trainings dieser Art am besten von professionellen Trainern durchgeführt werden.“

„Ähnliches berichtet Sparks, der ein Teamentwicklungszentrum für Schulkollegien leitet. Im Normalfall wird ein Workshop von ca. 2 ½ Stunden für die Lehrer und das Verwaltungspersonal einer einzigen Schule vor Ort durchgeführt. Die Gruppengröße schwankt zwischen 10 und 8o. Ziele sind

die Entwicklung von Handlungsplänen.

die Verminderung persönlicher Isolation,

die Stärkung des Selbstbewußtseins durch Identifizierung persönlicher Stärken und Arbeitserfolge,

die Ursachenanalyse beruflichen Stresses,

Und weiter:

Eingesetzt werden relativ oberflächliche Gruppentechniken. Es ist plausibel, dass der Workshop eine Eisbrecherfunktion haben kann. Von langfristigen Wirkungen oder weitergehenden Aktivitäten wird nichts berichtet.“

„Ebenfalls mager sind die Informationen über einen Kurs, den Shannon & Saleebey (1980) mit vier Gruppen von insgesamt 41 Jugendfürsorgern durchführten, die sich anscheinend überwiegend in fortgeschrittenen Burnout-Stadien befanden. Man traf sich 6 Wochen lang für 3 Stunden wöchentlich, um Themen wie Entspannung, Körperbewußtsein oder körperliche Fitness zu diskutieren, was die Teilnehmer später als ‘nützlich’ bezeichneten.

Die neun studentischen Telefonberater von Baron & Cohens Krisenberatungsstelle werden, mit zwei Ausnahmen, als nicht ernsthaft ‘ausgebrannt’ charakterisiert. Da es sich um ein vollständiges Team handelte, wurde ein Arbeitstreffen vereinbart, von dem ein halber Tag für das Thema Burnout reserviert wurde. In Blöcken von je 30 Minuten wurden zunächst persönliche Burnout-Diagnosen anhand eines Stressfragebogens erstellt, dann persönliches Fehlverhalten analysiert, mit dem man sich selbst und gegenseitig das Leben schwermachte (z.B. ‘verspäteter Schichtantritt’ oder ‘Unordnung hinterlassen’). Sodann ging es um professionelle Mythen, wie etwa den Glauben, dass es für jedes Problem eine Lösung gebe, die der Berater lediglich finden müsse. Eine Sammlung von burnout-fördernden Gegebenheiten in der Organisation (z.B. schlechte Arbeitsräume) schloß sich an.

Um die Betonung von Negativa etwas zu balancieren, wurden sodann positive Aspekte der Arbeit zusammengetragen. Abschließend sollten Lösungsvorschläge gemacht werden. Da die strukturellen Probleme als kurzfristig zu schwer lösbar angesehen wurden (!), beschränkte man sich auf die individuelle Bekundung guter Vorsätze, etwa die Absicht, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit auf die gruppeninterne Kommunikation zu richten.

Einen originelleren Weg haben Garte & Rosenblum (1978) mit professionellen Beratern beschritten. Aus der (mich) wenig überraschenden Entdeckung, dass die Teilnehmer ihrer Gruppen Lebensfreude fast ausschließlich mit Freizeit verbanden, nicht mit Arbeit, zogen die Autoren den Schluß, Brücken zwischen Spiel und Arbeit zu suchen. In ihren Workshops geht es darum, über eine Analyse individueller Bedürfnisse und Interessen Wege zur Integration intrinsisch lustvoller Momente in den Berufsalltag zu finden. Als Beispiel führen sie den Berater an, der seine Fähigkeiten als Amateurphotograph nutzen könnte, um Informationsmaterial für seine Beratungspraxis zu entwickeln.

Und weiter:

Diesen Versuch, Arbeit wieder mit positiven Anreizen zu besetzen, finde ich äußerst vielversprechend, jedenfalls für frühe Burnout-Stadien.“

„Ein präventives Trainingsprogramm. Ebenfalls außergewöhnlich ist das Projekt von Lammert (1981), die ein relativ umfangreiches gruppendynamisches Training in die Aus- und Fortbildung von Krankenschwestern integriert hat.

Durch Verfahren, wie sie in organisationspsychologischen Laboratorien üblich sind, z. B. Kleingruppenprojekte, Intergruppen- und Großgruppenübungen sowie Einzelberatungen, soll die Selbst- und Fremdwahrnehmung geschärft, die Fähigkeit zur psychischen Selbstversorgung, zu Kooperation und Beziehungspflege erhöht und Erfahrung mit Gruppenprozessen vermittelt werden.

Nach einigem anfänglichen Widerstand wurde das Programm von den Teilnehmerinnen sehr positiv beurteilt. Da für das Training 8 Wochen lang mehrere Wochenstunden reserviert sind, lassen sich davon durchaus spürbare Effekte erwarten. Mir scheint dies eine hoffnungversprechende Idee zur Primärprävention von Burnout. Ähnliche, noch weitergehende, aber bislang unerprobte Vorschläge machen Ryerson & Marks (1981).“

„Systematischere Studien zur Erfolgskontrolle von Burnout-Interventionen stecken, wie schon gesagt, noch in den Kinderschuhen.

In der mir zugänglichen Literatur fanden sich lediglich drei Untersuchungen, die zur Evaluation mehr taten, als die Teilnehmer um ein Feedback zu bitten (z. B. nach der ‘Nützlichkeit’ der Behandlung). Drei weitere Ansätze werden hier referiert, weil die abhängigen und/oder unabhängigen Variablen offensichtlich in engerem begrifflichen Zusammenhang mit Burnout stehen.

Wenden wir uns jedoch vorher kontrollierten Untersuchungen über Stressmanagement zu, denn zweifellos liegt ein Weg zur Eliminierung von Stress zweiter Ordnung darin, Stress erster Ordnung zu reduzieren oder dagegen zu immunisieren. Vorausgeschickt sei, dass alle Versuche mit den sattsam bekannten Problemen der Psychotherapieforschung zu kämpfen haben, z.B. mit der Parallelisierung wirklich unbehandelter Kontrollgruppen, unspezifischen ‚Hawthorne-Effekten’, Regressionsartefakten, der Auswahl individuell sinnvoller Erfolgsindikatoren etc.“

„Empirische Studien zu Stressmanagement:

Murphy (1984) referiert 13 empirische Studien, die zwischen 1977 und 1984 veröffentlicht wurden. Die Mehrzahl davon war präventiv orientiert, d.h. die Teilnehmer waren nicht hinsichtlich Stressvorschädigungen selegiert. Alle Interventionen waren individuumzentriert, verzichteten also auf Veränderungen der ‘objektiven’ Umwelt, alle bis auf eine wurden am Arbeitsplatz der Teilnehmer durchgeführt. Muskelentspannung, Biofeedback, Meditation, kognitive Umstrukturierung, Selbstbehauptungstraining und rational-emotives Training waren die eingesetzten Methoden, einzeln oder in verschiedenen Kombinationen. Die abhängigen Variablen reichten von Fragebögen (z.B. für Angst, Depression, somatische Symptome, Arbeitszufriedenheit) bis zu physiologischen und biochemischen Parametern. In allen Fällen werden Effekte berichtet, die teilweise auch längere Follow-up-Perioden überdauerten.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass erfolglose Interventionen geringere Chancen haben, publiziert zu werden, und dass in vielen Fällen auch die Kontrollgruppen gleichsinnige Veränderungen zeigten. Hinzu kommt, dass statistische Signifikanz praktische Relevanz bekanntlich keineswegs garantiert.“

Fazit: 

Effektive Methoden des Stressmanagements müssen die individuelle Chiffrierung von Situationen beim gestressten Subjekt in der Weise verändern, dass zum einen die bereits vorhandenen Folgen von Stress (psychosomatische u.a. Beschwerden) beseitigt werden, zum anderen die individuelle Handlungskompetenz (Fähigkeiten des Coping) (wieder) hergestellt wird, insbesondere, was die Konzepte der „individuellen Autonomie und Mobilität“ anbetrifft. 

Dies erfordert erstens eine Optimierung physiologisch konditionierter Regelkreise, zweitens eine Umstrukturierung im kognitiven und emotionalen Bereich sowie drittens ein verhaltenstherapeutisch fundiertes Konfliktlösungs-, Selbstbehauptungs- und Selbstdurchsetzungstraining. Ohne eine physiologisch stabile Basis sind allerdings weder kognitive und emotionale Umstrukturierung noch Konfliktlösungskompentenzen sowie Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung denkbar.

Daher stehen Methoden psychophysiologischer Stabilisierung in der Stress- und Burnoutbekämpfung an allererster Stelle. Dies ist die Domäne der Entspannungstechniken und vor allem der Transzendentalen Meditation.

An zweiter Stelle folgen Trainings mit kognitiv und emotional umstrukturierenden sowie verhaltensorientierten Methoden.